Prioritätensetzung im botanischen Artenschutz Bayerns

Zahlreiche internationale Abkommen und Strategiepapiere schreiben den Schutz der biologischen Vielfalt fest. Allerdings fehlte in Bayern bisher ein in Expertenkreisen abgestimmtes Handlungsinstrument für den floristischen Artenschutz. Mit der Prioritätenliste wurde nun für Bayern ein Werkzeug entwickelt, um die begrenzten Ressourcen auf Arten zu bündeln, die hochgradig gefährdet sind und für die zum anderen Bayern eine hohe internationale Erhaltungs-Verantwortung trägt.

Grundlagen und Bearbeitungsmethode

Aus der Einstufung der Arten in der bayerischen Roten Liste (Scheuerer & Ahlmer 2003) und der Datenbank der Zentralstelle für die Floristische Kartierung Bayerns (Stand 2007) wurden die vorrangigen Arten ermittelt und in einer ersten Liste zusammengefasst. In mehreren Abstimmungsrunden wurden insgesamt rund 2.300 Expertenmeinungen eingearbeitet und Mitte März 2009 in einem Workshop beschlossen. Die beteiligten Fachleute vertraten die Höheren Naturschutzbehörden, universitäre Institute, Verbände und Vereinigungen, als auch Ehrenamtliche und freiberufliche Kenner der bayerischen Flora.

Die zugrundeliegende Bewertungsmatrix (siehe nachfolgende Tabelle 1) wurde gleichbedeutend für Zoologie und Botanik aufgestellt und gruppiert die Pflanzenarten in vier Gruppen, wovon die oberen zwei Gruppen aufgrund von Unsicherheiten in der Beurteilung der internationalen Verantwortlichkeiten und Rote Liste-Einstufungen zusammengefasst wurden. Die verschiedenen Unterkategorien dienen nur der Einstufung, dokumentieren aber keine Prioritätenunterschiede innerhalb der Klassen.

Tabelle1: Grundlagen für die Einstufung
Kategorie Rote Liste Bayern (*1) Rote Liste Deutsch­land (*1) Rote Liste regional (*1) Verant­wortung Deutsch­land (*1) Verant­wortung Bayern (*1) FFH (*1)

Bayernweit prioritäre Pflanzen

A0 0
A1 1 !!/!/(!)
A2 2 !!/!/(!) E/(E)/a/h
A Ex Expertenvotum (mit Begründung)
B1 1
B2 2 !!/!/(!)
B3 2 II/IV
B4 3/R/R*/G/D !! E/(E)/a/h
B Ex Expertenvotum (mit Begründung)

Regional prioritäre Pflanzen

C1 0/1/2
C2 0/1/2
C3 3/R/R*/G/D !!/!/(!)
C4 (*2) 3/R/R*/G/D
C5 (*2) 3/R/R*/G/D
C6 (*2) 3/R/G/D
C7 V !! E
C8 V !!/!/(!) (E)/a/h
C Ex Expertenvotum (mit Begründung)

Landkreisbedeutsame Pflanzen (*3)

D 3/R/G/D
D 3/R/G/D
D 3/R/G/D
D II/IV
D V !!/!/(!)

Tabelle 1: Einstufungsmatrix für die Prioritätensetzung der bayerischen Flora. Die Signaturen sind analog zur Roten Liste
0-3; R; R*; G; D; V = Gefährungskategorien,
E; (E) = Endemismus,
!!; !; (!) = Verantwortung Deutschlands,
a; h = Verantwortung Bayerns in Deutschland,
II; IV = die Art ist in den Anhängen der FFH-Richtlinie aufgeführt.

(*1): Alle Daten entnommen: Scheuerer, M. & W. Ahlmer (2003): Rote Liste gefährdeter Gefäßpflanzen Bayerns mit regionalisierter Florenliste. - Bayer. Landesamt für Umweltschutz (Hrsg.), Schriftenreihe 165. 371 S. Augsburg.
(*2): Im Naturraum seltene/rückläufige Art; Art mit Vorkommen an der Arealgrenze; Art mit bayernweitem Schwerpunktvorkommen; isolierte Reliktvorkommen.
(*3): Lokale Gefährdung aufgrund naturräumlicher Seltenheit oder aufgrund Gefährdung der Standorte/Lebensräume; deutlicher Rückgang der Arealgröße oder der Populationsgrößen in den letzten 20 Jahren.

Arten der obersten Stufe haben bayernweite Priorität (Kategorien A und B), gefolgt von Arten regionaler Bedeutsamkeit (C), die für jede Region individuell festgelegt werden sollen und einer Stufe (D), die die nicht anderweitig eingestuften Arten umfasst. In Bayern ausgestorbene Arten wurden generell in der Kategorie A0 eingestuft, da sie im Falle eines Wiederauftretens automatisch höchste Schutzpriorität hätten.
Um verbesserten Erkenntnisständen Rechnung tragen zu können, wurden die Kategorien "A Ex" und "B Ex" eingeführt, in die Arten entsprechend Experten-Einschätzung eingestuft werden konnten.
Innerhalb der obersten Prioritätsstufe wurden mittels Experteneinschätzung zusätzlich Arten identifiziert, für die ein hoher Handlungsbedarf besteht, um sie mittelfristig vor einem Aussterben in Bayern zu schützen. Dazu gingen vor allem kleine Populationsgrößen, Gefährdungen des Wuchsortes und Schwierigkeiten bei der Durchführung von Hilfsmaßnahmen in die Beurteilung ein.

Die Liste wird u. a. auf dieser Homepage-Seite weitergeführt, um sie kontinuierlich aktuellen Erkenntnissen angepasst zu halten. Daher weicht die folgende Darstellung von der im Gutachten erstellten Liste in Details ab. Weitere Experten-Workshops zur Grundüberprüfung sollten alle fünf Jahre, spätestens aber im Rahmen der Aktualisierung der bayerischen Roten Liste der Gefäßpflanzen stattfinden.

Zusammenfassung der Ergebnisse der Prioritätensetzung für den Schutz der Bayerischen Flora

Insgesamt wurden 2.335 Arten bei der Bearbeitung der Liste berücksichtigt und entsprechend der Bewertungsmatrix eingestuft (Stand 20.05.2010). Im Rahmen der Expertenberatungen konnte zudem der Wissensstand zur bayerischen Flora verbessert werden.

  • 417 Arten sind als bayernweit prioritär eingestuft.
  • Von den 417 Arten gelten momentan 72 als ausgestorben bzw. verschollen, die automatisch der höchsten Prioritätsstufe zugeordnet werden, da sie bei Wiederauftreten sicherlich Schutzmaßnahmen bedürfen.
  • Aktuell kommen somit in Bayern 345 vorrangig zu schützende Arten vor.
  • Für 222 dieser Pflanzenarten besteht dringender Handlungsbedarf, um eine Verschlechterung der letzten bayerischen Populationen und ein kurz- bis mittelfristiges Aussterben zu verhindern!
  • 58 Arten konnten als neu in Bayern nachgewiesene Arten aufgenommen werden.
  • Für manche Arten konnte eine Verbesserung der Bestandssituationen gegenüber der Einstufung in der Roten Liste (Scheuerer & Ahlmer 2003) festgestellt werden.
  • Sechs Arten sind in den Jahren zwischen 2003-2009 ausgestorben bzw. sind derzeit verschollen. Dies sind: Calendula arvensis (Acker-Ringelblume), Gentianella campestris subsp. baltica (Baltischer Feld-Fransenenzian), Juncus stygius (Moor-Binse), Pulmonaria collina (Hügel-Lungenkraut), Salix starkeana (Bleiche Weide) und Senecio incanus subsp. carniolicus (Krainer Greiskraut).
  • Die 2009 als verschollen geführte Deschampsia littoralis (Bodensee-Schmiele) konnte im Rahmen einer LfU-Kartierung 2010 wieder nachgewiesen werden.
  • Bei 58 Arten ist die Datenlage für eine Einstufung unzureichend.
  • Bei 18 Arten erschweren taxonomische Unklarheiten die Einstufung.
  • 80 Arten wurden nicht bewertet, zum Beispiel weil die einzige in Bayern vorkommende Unterart eingestuft wurde, oder weil sich die Sippe als taxonomisch nicht solide erwiesen hat.
Tabelle 2: Artenbilanz bayerische Flora - Anzahl der Pflanzenarten zusammengefasst
nach Kategorien (A, B, etc.)
Stand 20.05.2010
Kategorie A B A & B A0 C C reg. C lokal Handl-
ungs-
bedarf
Daten unzu-
reichend
Taxono-
misch
unklar
Anzahl 133 211 418 72 1838 1031 807 222 58 18
Anteil (%) 5,7 9 17,9 3,1 78,7 44,1 34,5 9,5 2,5 0,8
Tabelle 3: Artenbilanz bayerische Flora - Anzahl der Pflanzenarten
der Kategorien (A Ex, etc.) Stand 20.05.2010
Kategorie A Ex A1 A2 B Ex B1 B2 B4 C Ex C1 C2 C3 C4 C5 C6 C7 C8
Anzahl 40 45 49 79 83 16 33 59 909 9 49 798 1 8 1 4
Anteil (%) 1,7 1,9 2,1 3,4 3,6 0,7 1,4 2,5 38,9 0,4 2,1 34,2 0 0,3 0 0,2

Die in der Kategorie C enthaltenen Arten müssen noch mit den regional tätigen Fachleuten abgestimmt werden, damit auch für den botanischen Artenschutz in den unterschiedlichen Regionen Bayerns optimierte Handlungsinstrumente vorliegen.

Eine umfassende Dokumentation zur Prioritätensetzung für den botanischen Artenschutz ist im folgenden Gutachten dokumentiert: Woschée, R. (2009): Prioritätenliste für den botanischen Artenschutz in Bayern. – Unveröffentlichter Bericht im Auftrag des Bayerischen Landesamtes für Umwelt. 12 S. mit Tabellen, Augsburg.

Übersicht der Arten und deren Einstufung

Unter den folgenden Links können die verschiedenen Artenlisten der Prioritäteneinstufung heruntergeladen werden. Die unteren drei Listen sind thematische Auszüge der Gesamtliste.

Beteiligte Experten

An der Erstellung der Prioritätenliste haben in Form von Expertenbeiträgen mitgewirkt (alphabetisch nach Nachnamen):

Familie Adler (Nördlingen); Thomas Blachnik (Nürnberg); Timo Conradi (Augsburg); Dr. Franz G. Dunkel (Karlstadt); Otto Elsner (Rottenstein); Dr. Thomas Franke (Hemhofen); Friedrich Fürnrohr (Seubersdorf-Schnufenhofen); Thomas Herrmann (Neuburg a. Inn); Karsten Horn (Dormitz); Dr. Wolfgang Lippert (München); Anton Mayer (Augsburg); Prof. Dr. Lenz Meierott (Gerbrunn); Barbara Merkel (Bayreuth); Norbert Meyer (Oberasbach); Stephan Neumann (Bayreuth); Prof. Dr. Werner Nezadal (Erlangen); Christian Niederbichler (Bergen); Burkhard Quinger (Herrsching); Bernd Raab (Hilpoltstein); Herbert, Dr. Rebhan (Bayreuth); Günter Riegel (Nordendorf); Martin Scheuerer (Nittendorf); Dr. Franz Schuhwerk (München); Dr. Alfred & Ingrid Wagner (Unterammergau); Rainer Woschée (Neunburg); Dr. Willy Zahlheimer (Landshut) & Dr. Andreas Zehm (Weilheim)

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