Schneedeckenaufbau im Winter 2021/2022

Dynamisches Wetter mit Wärmeeinbrüchen bis in die Hochlagen und stürmischem Wind prägt auch diesen Winterverlauf. Ende November 2021 stellt sich in den mittleren Lagen des bayerischen Alpenraums die dauerhafte Schneebedeckung des Winters ein. Intensive Neuschneefälle innerhalb kurzer Zeit wie beispielsweise Ende November sowie Anfang Dezember und Anfang Februar wirken sich immer unmittelbar auf die Lawinengefahr und auf die Arbeit der Lawinenkommissionen und Sicherheitsbehörden aus. Drei Lawinenunfälle mit tödlichem Ausgang im nicht überwachten Gelände ereignen sich in diesen kritischen Zeitabschnitten. Große, talgefährdende Lawinenereignisse werden aber den gesamten Winter über nicht registriert. Im Februar bewegen sich die Schneehöhen im bayerischen Alpenraum im Bereich der durchschnittlichen langjährigen Messwerte an den automatischen Messstationen des bayerischen Lawinenwarndienstes. Im März stellen sich dann traumhafte, frühlingshafte Skitourenbedingungen ein. Es gibt einen Monat lang keinen Niederschlag, entsprechend geht die Schneedecke bis Ende März stark zurück und sonnseitige Bereiche apern bis 1.600m weitgehend aus. Der Neuschnee Anfang April schafft Potential für Nassschneelawinen, die aus steilem Schrofengelände bei sonnigem, mildem Wetter aus höheren Lagen abgehen. Ein solcher Lawinenabgang sorgt für den vierten, tödlichen Lawinenunfall im nicht überwachten Gelände. Ende April sind dann die mittleren Lagen weitgehend schneefrei.

Der Winter 2021/22 beschert bereits Ende August den Hochlagen eine 40cm mächtige Schneedecke, die bis Mitte September wieder abschmilzt. Mitte Oktober sowie Anfang November bringt sich der Winter bis in mittlere Lagen wieder in Erinnerung, die Schneedecke kann sich aber nur in schattseitigen Bereichen der Hochlagen halten. Ende November fallen dann über mehrere Tage hinweg fast 70cm Neuschnee. Vor allem in höheren Lagen wandeln sich bei sehr kalten Temperaturen bodennahe Schneeschichten aufbauend um. Mit einem Warmlufteinbruch bis in die Hochlagen zwei Tage später stellt sich dann mildes Hochdruckwetter bis Ende Dezember ein. Die Schneedecke setzt sich gut, starke Temperaturgradienten in der Schneedecke der höheren Lagen bilden dort aber bodennah störanfällige Schwachschichten. Westwetter mit milder Atlantikluft und Regen bis in die Hochlagen um den Jahreswechsel bereitet mit Regenkrusten und Schmelzharschschichten eine glatte Oberfläche für die starken Schneefälle mit fast 50cm Neuschnee ab 5. Januar 2022. Bis zum 22. Januar verfestigt sich die Schneedecke bei windigem, niederschlagsarmen Wetter wieder intensiv. Die Schneelage im bayerischen Alpenraum ist zu diesem Zeitpunkt als unterdurchschnittlich zu bezeichnen. Dann stellt sich eine klassische Nordstaulage ein, die vor allem dem Osten mehr als einen halben Meter Neuschnee beschert. Das umfangreiche Neuschneepaket setzt sich dann zügig.

In einer kräftigen Nordwestströmung setzt Anfang Februar starker Schneefall ein, die Gesamtschneehöhe steigt im Bayerischen Alpenraum im Mittel um 50cm an. Der von starkem Wind verfrachtete Neuschnee lagert sich auf einer verharschten Altschneedecke ab, findet eine nur schlechte Bindung und ist entsprechend störanfällig. Wechselhaftes Wetter, mit schnellen Abfolgen von Neuschnee und Warmlufteinbrüchen bis in die Hochlagen hinein sowie starkem Wind lässt in dem windbeeinflussten Neuschneepaket mehrere schwache Zwischenschichten entstehen. Im Februar erreichen die Schneehöhen die langjährigen Mittelwerte der automatischen Messstationen (siehe Abbildung 2).

Abbildung 2: Schneehöhenentwicklung im Winter 2021/2022 an der Station Fellhorn (1.610 m über Normal Null) relativ zur Spannbreite der Messwerte innerhalb der seit 1998 erhobenen Schneehöhen und zu deren Mittelwerten. Graphik der Schneehöhenentwicklung an der Messstation Fellhorn (1.610 m über Normal Null). Abbildung 2: Saisonverlauf der Temperaturen, der Windgeschwindigkeiten und der Schneehöhe an der automatischen Messstation am Fellhorn (1.610 m über Normal Null), die Schneehöhe (dunkelblaue Linie) bleibt fast den ganzen Winter unterhalb der langjährig gemittelten Schneehöhe, außer Anfang Dezember sowie im Februar 2022, als es am Monatsanfang intensiv schneite; Quelle: LWD Bayern

Am 24. Februar stellt sich das Wetter um. Zu diesem Zeitpunkt erreicht die Schneedecke in den bayerischen Alpen ihr Maximum, was außergewöhnlich ist, weil dieses Maximum sonst erst Ende März und im April anzutreffen ist (siehe Abbildung 2). Ein Hochdruckgebiet mit insgesamt niedrigen Temperaturen, tagsüber Sonnenschein, nachts Eiseskälte und leichtem Ostwind übernimmt bis Ende März das Regime. Die Schneedecke setzt und verfestigt sich, sonnseitig entsteht Schmelzharsch, wobei die oberflächliche Durchfeuchtung des Schnees nicht erwähnenswert ist und schattseitig bleibt gesetzter Pulver erhalten. Mitte des Monats März ist der Boden an sonnseitigen Hängen bis weit in die mittleren Lagen hinein ausgeapert. Es fällt den gesamten März kein Niederschlag. In der zweiten Märzhälfte etablieren sich Frühjahrsverhältnisse mit einem tageszeitlichen Aufweichen des Schnees und Wiedergefrieren in der Nacht. Erwähnenswert ist ein massiver Saharastaubeintrag um den 17. März, der die zunehmende Durchfeuchtung des Altschnees zusätzlich unterstützt (siehe Abbildung 3).

Lawinengefahr im Winter 2021/2022

Die Lageberichtssaison 2021/2022 beginnt mit der Veröffentlichung des ersten Lawinenlageberichts am 4. Dezember 2021. Mit den Schneefällen Ende November und Anfang Dezember, die von stürmischem Wind begleitet werden, bildet sich über der Waldgrenze ein klassisches Triebschneeproblem heraus, das im Landkreis Oberallgäu oberhalb der Waldgrenze mit der Gefahrenstufe 4 "Große Lawinengefahr" bewertet wird. Ein Warmlufteinbruch mit Regen bis in die Hochlagen und darauffolgendes mildes Hochdruckwetter lässt die Lawinengefahr bis in die erste Januardekade 2022 auf "gering" zurückgehen, sonnseitig apert der Boden bis in mittlere Lagen zunehmend aus. Erst am 22. Januar schneit es im Nordstau mit Schwerpunkt in den Chiemgauer und Berchtesgadener Alpen wieder stark und da große Lawinen befürchtet werden, wird oberhalb der Waldgrenze die Gefahrenstufe 4 ausgegeben. In dieser Phase ereignen sich in der östlichen Hälfte der bayerischen Alpen zwei Lawinenunfälle mit Personenbeteiligung, bei denen zwei Tote zu beklagen sind. Am 23. Januar wird am Wendelsteingipfel ein Wanderer von einer Lockerschneelawine vom Weg gerissen und verschüttet. Zwei Tage später lösen zwei Skitourengeher in den Hochlagen der Berchtesgadener Alpen an der Hocheisspitze ein Schneebrett aus, in der eine Person trotz schneller Kameradenhilfe zu Tode kommt (detaillierte Informationen unter nächstem Link: "Tödliche Lawinenunfälle im bayerischen Alpenraum"). Selbstauslösungen von sehr großen Lawinen konnten nur im Watzmannmassiv am sogenannten 5. Kind dokumentiert werden.

Anfang Februar führt eine kräftige Nordwestströmung zu mehrtägigem Niederschlag. Begleitet von starkem Wind baut sich über der Waldgrenze wieder eine gefährliche Triebschneesituation auf, die mit Gefahrenstufe 4 "Große Lawinengefahr" bewertet wird. Gleichzeitig hat der störanfällige Schneedeckenaufbau mehrere Lawinenunfälle mit Personenbeteiligung zur Folge. Am 6. Februar löst eine sechsköpfige Skitourengruppe am Prinzenkopf (1.818m) bei Lenggries in einer nordseitigen Steilflanke ein großes Schneebrett aus, das einen Skifahrer verschüttet. Durch schnelle Kameradenhilfe konnte der in ein Meter Tiefe Verschüttete unverletzt geborgen werden. Am selben Tag werden in den Berchtesgadener Alpen am Steintalhörndl (2.468m) zwei Skitourengeher im westseitigen Gipfelhang von einer Schneebrettlawine verschüttet, wobei einer tödlich verunglückt. Bis 24. Februar dominiert dann bei windreichem, wechselhaftem Wetter ein Triebschneeproblem oberhalb der Waldgrenze, parallel dazu in den mittleren Lagen ein Nassschneeproblem. Im Vordergrund steht in dieser Phase die Gefahrenstufe 2 "mäßige Lawinengefahr". Dann etabliert sich ein markantes Hochdruckgebiet über dem bayerischen Alpenraum, es fällt bis Ende März kein Niederschlag, die kompakte, gesetzte Schneedecke geht stark zurück, trotz guter Tourenverhältnisse. Es herrscht bis Mitte März geringe Lawinengefahr. Dann stellen sich Frühjahrsverhältnisse ein, mit einem leichten tageszeitlichen Anstieg der Lawinengefahr. Die Gefahrenstufe 2 "mäßige Lawinengefahr" benennt in dieser Phase die Gefahr der Selbstauslösung kleiner Lockerschnee- und Gleitschneelawinen aus sonnenbeschienenem Steilgelände (siehe Abbildung 4). Bis 1.600m ist der Boden an sonnseitigen Hängen weitgehend ausgeapert. Die fast 50cm Neuschnee Anfang April mit Schwerpunkt in der westlichen Hälfte des bayerischen Alpenraums heben in der ersten Aprildekade die Lawinengefahr noch einmal auf Stufe 2 "mäßige Lawinengefahr" an. Grund sind frische Verfrachtungen in höheren Lagen. Dann übernimmt der Frühling mit einem leichten tageszeitlichen Anstieg der Lawinengefahr wieder das Zepter. Am 14. April stirbt ein Bergwanderer um die Mittagszeit am Karwendelsteig, westliche Karwendelspitze, in 1.750m Höhe. Eine mittelgroße Nassschneelawine ließ ihn etwa 300 Höhenmeter über steiles Schrofengelände abstürzen. Bis Monatsende ist dann die Lawinengefahr gering. Am 29. April wird der letzte Lawinenlagebericht des Winters veröffentlicht.

Die tieferen Lagen wurden im gesamten Winter 2021/22 nicht von talgefährdenden Lawinen getroffen. Wegen der meist geringmächtigen Schneedecken in tiefen und mittleren Lagen war die Beurteilung der Lawinenlage für die Lawinenkommissionen mit Zuständigkeiten an Straßen und Wanderwegen weitgehend unproblematisch. Die Sicherung der Skiabfahrten und Rodelbahnen im Bereich von Bergbahnen war für die dortigen Lawinenkommissionen Routine. Trotzdem war die Notwendigkeit einer schnellen Bereitschaft für die Beurteilung der Lawinengefahr für die Lawinenkommissionen den ganzen Winter aufrechtzuhalten.

Wir danken den ehrenamtlichen Lawinenkommissionsmitgliedern und Beobachtern für ihre Einsatzbereitschaft, die einen unersetzbaren Beitrag leisten, um die Bevölkerung vor Lawinenunglücken zu schützen.

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