Artenhilfsprogramm Kiesbrüter

Unsere Flüsse wurden zur Siedlungsentwicklung, Landgewinnung und Energienutzung in den letzten 200 Jahren stark verändert. Intakte Flussabschnitte, in denen dynamische Prozesse Fluss und Aue gestalten, wurden rar, und mit ihnen die Vogelarten und ganze Lebensgemeinschaften, die hier ihren Lebensraum haben. Die Flussdynamik ermöglicht die ständige Neubildung von Strukturen, die eine Entwicklung (Sukzession) durchlaufen und dabei von einer Vielzahl von Arten genutzt werden können. Auf Kies brütende Vögel sind auf das regelmäßige Entstehen von Kiesflächen angewiesen und an ihr Vergehen bei Hochwasser angepasst.

In den letzten Jahrzehnten bemüht man sich, Teile der Flüsse zu revitalisieren. Das wird von mobilen Arten wie den Kiesbrütern Flussregenpfeifer und Flussuferläufer gerne honoriert, indem sie sich ansiedeln und brüten. Meist fehlt aber die Dynamik, um diese Flächen langfristig als Kiesbrüterlebensraum zu erhalten.

Flussuferläufer und Flussregenpfeifer sind Zugvögel, die in Afrika überwintern. Sie kommen zu uns nach Bayern, um das Wichtigste für den Fortbestand Ihrer Art zu leisten: zu brüten und Junge groß zu ziehen.

Bestand und Gefährdung

Der Flussuferläufer ist paläarktisch verbreitet. Die Bestände sind in vielen Ländern angesichts der Verbauung der Flüsse sehr klein und bedroht. Für Deutschland werden im Brutvogelatlas 300 bis 420 Brutpaare angenommen, in Bayern brüten laut dem Atlas der Brutvögel Bayerns 150 bis 190 Brutpaare.

Der Flussuferläufer ist etwas kleiner als eine Amsel und wirkt schlanker; seine Beine und sein Schnabel sind länger. Die typischen Feldkennzeichen sind eine braune Oberseite und reinweiße Unterseite, sowie die beim Flug deutlich sichtbare weiße Flügelbinde. Es liegt kein Geschlechtsdimorphismus vor, d.h. Männchen und Weibchen lassen sich nicht über äußere Merkmale unterscheiden. Der Flug wird schnell und flach über der Wasseroberfläche durchgeführt, oft begleitet von einem mehrsilbigen Ruf. Charakteristisch ist die Flugweise über kurze Strecken zum nächsten ruhig gelegenen Uferabschnitt.

Der Flussregenpfeifer ist in Eurasien verbreitet. In Mitteleuropa brütet er nur in Ausnahmefällen (wie an der Isar) in Höhenlagen über 600 m. Der gesamtdeutsche Brutbestand wird auf 5.500 bis 8.000 Brutpaare geschätzt, wovon für Bayern 950 bis 1.300 Brutpaare angenommen werden. Der Bestand des Flussregenpfeifers ist viel größer als der des Flussuferläufers und nicht so streng an Fließgewässer gebunden, weil er auch von Menschen gemachte Biotope, die Kiesinseln ähneln, brüten kann. Das sind vor allem Kies- und Sandgruben und für Baustellen vom Oberboden freigeschobene Flächen, aber auch sandige oder kiesige Ackerflächen ohne Vegetation.

Adulte Flussregenpfeifer sind etwas größer als Stare. Im Brutkleid ist die schwarze Gesichtsmaske durch einen weißen Federbereich vom erdbraunen Scheitel abgesetzt. Im Ruhekleid fehlt die Maske. Auffällig ist auch der zitronengelbe Augenring. Der Geschlechtsdimorphismus drückt sich in der Färbung des Wangenfleckes aus. Weibchen haben eine hellbraune Wange, Männchen eine schwarze, wobei Ausnahmen möglich sind. Außerdem ist der Augenring des Weibchens schmäler.

Die starke Bindung der Kiesbrüter an geschiebegeprägte Umlagerungsstrecken, in denen der Fluss mit der Aue interagieren kann und die Vögel Rückzugsräume finden, schränkt die Auswahl an geeigneten Bruthabitaten in Bayern ein. Die Brut der Flussuferläufer findet an kiesbedeckten Ufern klarer, stehender und fließender Gewässer oder in deren unmittelbaren Nähe statt. Typische Brutplätze haben einen sandigen Untergrund (für die Nistmulde) und sind locker mit 0,5 bis 2 m hohen Büschen bestanden und mit einer geringen Zahl an krautigen Pflanzen bedeckt. Diese Lebensräume bleiben am Oberlauf der Flüsse durch die natürliche Flussdynamik erhalten. Selten werden Übergangsbereiche zu lockeren Gehölzbeständen zur Eiablage genutzt.

Der Flussregenpfeifer besiedelt ebenes, vegetationsarmes Gelände mit grobkörnigem Substrat an oder in der Nähe von Süßgewässern. Sein ursprüngliches Bruthabitat sind vor allem Schotterbänke und -inseln, die durch die natürliche Flussdynamik weitgehend vegetationsfrei bleiben. Heute nutzen allerdings nur noch ca. 6 % des mitteleuropäischen Brutbestandes diese originären Lebensräume. Überwiegend werden anthropogen geschaffene Standorte wie Kiesgruben als Ersatzhabitate angenommen, die allerdings durch Sukzession oder Baumaßnahmen, nach wenigen Brutsaisons als Brutplatz unattraktiv werden können.

Die beiden Watvogelarten sind territorial, sehr reviertreu und suchen die Nistplätze des Vorjahres wieder auf. Das ermöglicht recht präzise Prognosen über die Anzahl und Ausdehnung der potenziellen Reviere an den Flüssen.

Der starke Rückgang des terrestrischen Fließgewässerumfeldes und die starke Nutzung dieser hochattraktiven Bereiche – von der Freizeitnutzung bis zur Energiebewirtschaftung – führt dazu, dass der Flussuferläufer den Roten Listen Status 1 "vom Aussterben bedroht" in Bayern erreicht. Auch deswegen wird er als vorrangige Art für ein Artenhilfsprogramm in Bayern genannt. Der Flussregenpfeifer wird in Bayern als "gefährdet (RL 3)" eingestuft. Allerdings erreicht er in der alpinen biogeographischen Region – wo die Art eingebettet in den nennenswerten Bestandsteil der Flussuferläufer brütet – ebenfalls den Status "vom Aussterben bedroht".

Inhalt und Ergebnisse

200 Jahre Regulierung der Flüsse ist nicht einfach umzukehren. In vielen Bereichen sind die Veränderungen, die an den Gewässern vorgenommen wurden, irreversibel. Der Fokus im Artenhilfsprogramm richtet sich daher auf solche Flussabschnitte, die von menschlichen Eingriffen vergleichsweise wenig betroffen sind und daher noch eine gewisse Dynamik aufweisen. Hier gibt es schon lange und vielfältige Anstrengungen. Ein grenzüberschreitender Ansatz erfolgte im INTERREG-Projekt AB 179 "Leben am Wildfluss - Für ein respektvolles Miteinander von Mensch und Natur", das 2020 abgeschlossen wurde.

Im ersten Überblick in der Vorbereitung des Artenhilfsprogrammes konnten im ersten Jahr mindestens 91 und im zweiten Jahr 72 Brutpaare des Flussuferläufers in Bayern abgegrenzt werden, die wahrscheinlich (B-Nachweis) oder sicher (C-Nachweis) gebrütet haben. Das ist der minimale Brutbestand für Bayern. Erweitert man die Bestandsschätzung auf Brutorte, an denen B/C-Nachweise nicht gelangen und an denen in den Untersuchungsjahren nicht kartiert wurde, kann man von aktuell 80 bis 100 Brutpaaren ausgehen. Der Großteil der Bruten findet im alpinen Raum statt.

Dazu kommen maximal 70 Brutpaare Flussregenpfeifer ergeben, die noch in aktiven Umlagerungsstrecken brüten. Hier gilt es durch geeignete Schutzmaßnahmen die Brutplätze zu sichern und die Erholungsnutzung so zu regeln, dass die Vögel eine Chance auf Bruterfolg haben.

Um die Bestandssituation zu beurteilen und den Erfolg von Maßnahmen zu ermitteln, braucht man ein Monitoring. In dieses Monitoring werden Betreuer vor Ort (Gebietsbetreuung, Ranger, Naturschutzwacht), Ehrenamtliche und Interessierte eingebunden. Nachdem viele der aktuellen Brutplätze aus den Vorarbeiten der letzten Jahre bekannt sind, kann man hier unterschiedlich qualifizierte Personen einsetzen. Die Betreuungstätigkeiten sind umfangreich und neben der Mithilfe beim Aufstellen der Beschilderung, sind vor Ort Details wie die Intensitäten der Freizeitnutzung, die Nutzergruppen (z. B. Bootsfahrer, Fischer, Erholungsuchende), die Revierbesetzung durch die Vögel und ihr Reproduktionsverlauf zu klären.

Mit dem Aufbau des Betreuer- und Monitoringsystems werden mehr und mehr bekannte Brutbereiche mit den Schildern vor Eintreffen der Vögel gekennzeichnet. In einigen Fällen wurden die Schilder bei Anwesenheit bzw. bei Schlupferfolg aufgestellt. Sollte ein ehemaliger Brutplatz nicht besetzt sein, kann er zur Steigerung der Akzeptanz frei gegeben werden. Die Entscheidung über Besetzung oder nicht ist bei Flussuferläufer deutlich schwieriger als beim Flussregenpfeifer, den man i.d.R. auf dem Nest sieht. Dies kann durch die Auswahl des zu schützenden Bereiches etwas umgangen werden. Beispielsweise bei Inseln. Diese sind komplett zu sperren. Eine Freigabe eines Flussuferläufer-Brutplatzes sollte also nicht vor Ablauf der zu erwartenden Bebrütungszeit plus einem Zeitraum von 14 Tagen erfolgen. Auch bei Hochwasserereignissen, die vor Ort zum Gelegeverlust führen, ist zu klären, ob ein Ersatzgelege angelegt wird und dann ggf. der genannte Zeitraum abgewartet werden muss. Teilweise stehen also die Kennzeichnungsschilder vom Zeitpunkt der Beobachtung der Besiedelung bis zum Zeitpunkt einer zweiten Brut, die nicht zum Schlupf geführt hat. Für die Entscheidung am Brutplatz ist geschultes Personal notwendig, bzw. die vor Ort geltende Verordnung zu beachten. An der Ammer beispielsweise sind die Brutbereiche durch die Verordnung im Zeitraum vom 15.April. bis zum 15.Juli nicht zu betreten. Hier hilft das Betretungsverbot über den 15.7. hinaus, wenn in wenigen Fällen spät Nachgelege angelegt werden, so dass Junge bis dahin noch nicht flügge sind.

Über die Sicherung der aktuellen Brutplätze vor Erholungsnutzung hinaus sollen geeignete Flussabschnitte revitalisiert werden, um Neuansiedelungen der Kiesbrüter zu ermöglichen. Das kann in der eng genutzten bayerischen Landschaft nur in Abstimmung mit den zuständigen Behörden, insbesondere der Wasserwirtschaftsverwaltung, funktionieren. Hier werden zur Verbesserung der Situation an und in den Fließgewässern schon beträchtliche Anstrengungen unternommen, die man nutzen kann, um zusätzliche Habitate für die Kiesbrüter zu schaffen. Die Umsetzung von ökologischen Verbesserungsmaßnahmen in Bayern im Kontext der EU-Wasserrahmenrichtlinie unterstützt die Anstrengungen im Artenhilfsprogramm Kiesbrüter.

Aktiv werden

Wir suchen interessierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beim Monitoring und zur Unterstützung bei der Brutplatzbetreuung. Bei Interesse wenden Sie sich bitte an folgende Adresse:

Landesbund für Vogelschutz in Bayern e.V. (LBV)
Verband für Arten- und Biotopschutz
Alpenreferent Michael Schödl
Gsteigstr. 43
82467 Garmisch-Partenkirchen
Tel.: 0151/ 61 40 46 06
E-Mail:

Solch ein Projekt ist nur möglich durch die Zusammenarbeit vieler verschiedener Partner

Auftraggeber und fachliche Betreuung

Bayerisches Landesamt für Umwelt (LfU),
Staatliche Vogelschutzwarte,
Referat 55,
Tel. 08821- 94301-36,

  • Rebekka Kreikenbohm

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Projektträger und Gesamtkoordination

Landesbund für Vogelschutz in Bayern e.V. (LBV)

Regionale Partner

  • Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen, UNB, Ranger
  • Landkreis Bamberg, UNB
  • Landkreis Berchtesgadener Land, UNB, Gebietsbetreuung, BiodivRanger
  • Landkreis Garmisch-Partenkirchen, UNB, Gebietsbetreuung, Ranger
  • Landkreis München, UNB
  • Landkreis Ostallgäu, UNB, Gebietsbetreuung
  • Landkreis Regen, UNB
  • Ökomodell Achental, Gebietsbetreuung
  • Lebensraum Lechtal, Gebietsbetreuung, Rangerin
  • LBV-Bezirksgeschäftsstelle Memmingen
  • LBV-Gebietsbetreuung Allgäuer Hochalpen
  • LBV-Regionalgeschäftsstelle Inn-Salzach
  • LBV-Kreisgeschäftsstelle Bad Tölz-Wolfratshausen

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