Die Kreide/Tertiär-Grenze in Bayern

  • Ein verheerender Asteroideneinschlag in Mexiko,
  • intensiver Vulkanismus in Indien,
  • weltweites Massenaussterben an der Kreide/Tertiär-Grenze.

Was haben diese katastrophalen Ereignisse, die vor etwa 66 Millionen Jahren in fernen Regionen stattfanden, mit der Geologie in Bayern zu tun?

In einem kleinen Bach im Lattengebirge, südlich von Bad Reichenhall in Oberbayern, gibt es seltene Gesteinsschichten, die Hinweise auf all diese Ereignisse geben!

Entdeckung und Wiederentdeckung des Kreide/Tertiär-Aufschlusses im Lattengebirge

2015 begannen Geologen des Geologischen Dienstes am Bayerischen Landesamt für Umwelt im Wasserfallgraben im Lattengebirge nach einer ganz bestimmten Schicht zu suchen.

In diesem Graben wurde zu Beginn der 1960er Jahre anhand von Mikrofossilien (Foraminiferen, marine Einzeller) eine durchgehende Abfolge von der Oberkreide bis ins Tertiär nachgewiesen; außerdem entdeckte man in den Kalk- und Mergelsteinen, an der Kreide/Tertiär-Grenze eine auffällige Ton-Schluff-Lage, deren Fossilarmut auf ein Aussterbeereignis zurückgeführt wurde.

Diese Entdeckung durch Prof. Herm (Ludwig-Maximilians-Universität München) blieb zunächst ohne größere Beachtung. Bis Anfang der 1980er Jahre erhöhte Iridium-Gehalte, die weltweit in Kreide/Tertiär-Grenzschichten nachgewiesen wurden, durch den Einschlag eines großen Asteroiden erklärt wurden. Es wird vermutet, dass solch ein Asteroideneinschlag die Ursache für das große Massenaussterben am Ende der Kreidezeit gewesen ist. Später wurde mit der Entdeckung des Chicxulub-Asteroidenkraters in Mexiko auch der dazu passende Einschlagskrater identifiziert. Damit rückten die äußerst seltenen Profile mit durchgehenden Abfolgen von Kreide und Tertiär in den Fokus der Geowissenschaften.

Auch der Kreide/Tertiär-Aufschluss im Lattengebirge wurde daraufhin erneut untersucht. Neben dem Aussterben mariner Kleinstlebewesen, wurden dort an der Kreide/Tertiär-Grenzschicht ebenfalls erhöhte Iridium-Gehalte festgestellt.

Seitdem wird weltweit die wissenschaftliche Diskussion um die Ursache(n) des Massenaussterbens an der Kreide/Tertiär-Grenze geführt: Welchen Einfluss hatte der Asteroideneinschlag im Chicxulub-Krater? Gibt es Zusammenhänge mit dem etwa zeitgleich aktiven Vulkanismus der Dekkan-Flutbasalte in Indien? Und so geriet der Aufschluss im Lattengebirge wiederum in den Fokus der Forschung, um mit weiter entwickelten Methoden zu dieser Diskussion beizutragen. Für eine Beprobung musste die Stelle gefunden werden, wo man die Hand auf die Kreide/Tertiär-Grenze legen kann.

Aber wo genau ist die Stelle?

Deshalb waren ab 2015 Geologen des Geologischen Dienstes am Bayerischen Landesamt für Umwelt am Wasserfallgraben unterwegs. Sie wurden unterstützt von ehemaligen Mitarbeitern von Prof. Herm sowie von Dr. Johann Egger (Wien), der anhand von Kalknannoplankton-Untersuchungen das Alter der Schichten bestimmte. Mithilfe der Altersbestimmungen konnte die Stelle soweit eingeengt werden, dass die Kreide/Tertiär-Grenzschicht mit der auffälligen Ton-Schluff-Lage am Ende gefunden wurde (nachfolgende Abbildungen)!

Experten des Geologischen Dienstes am Bayerischen Landesamt für Umwelt legen den wieder entdeckten Aufschluss mit der Kreide/Tertiär-Grenze für die Beprobung frei

2018 wurde der Aufschluss wieder frei gelegt und gemeinsam mit Dr. Anette Regelous (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen) beprobt. Mit weiter entwickelten geochemischen Methoden (vor allem der Analyse von Iridium, Tellurium und Quecksilber) wurden Hinweise auf kosmischen und vulkanischen Eintrag untersucht. Detaillierte Mikrofossil-Untersuchungen von Dr. Stjepan Ćorić (Geologische Bundesanstalt Wien) an Kalknannoplankton aus diesen Proben belegen einen durchgehenden, ungestörten Übergang von den Kreide- zu den Tertiär-Ablagerungen. Da alle Untersuchungen an denselben Proben durchgeführt wurden, lassen sich an diesem Profil detaillierte Aussagen zur relativen Abfolge der verschiedenen Ereignisse treffen.

Der Aufschluss im Wasserfallgraben

Nachfolgend zwei Aufnahmen vom Aufschluss mit durchgehendem Kreide/Tertiär-Profil innerhalb der Tiefsee-Ablagerungen der Nierental-Formation (Gosau-Gruppe) im Wasserfallgraben bei Bad Reichenhall (Lattengebirge).

Detailausschnitt von der dünnen, hellen Grenzschicht. Dazu sind Kurzbeschreibungen der Gesteinsschichten, die Grenze zwischen Kreide (Maastrichtium) und Tertiär (Paläozän) und die Probenpunkte eingezeichnet. Genau an der Kreide/Tertiär-Grenze erkennt man an der Basis der dunkelgrauen und braunen Ton-Schluff-Lage die nur wenige Millimeter mächtige, grauweiße Schluff-Lage, die die Kreide/Tertiär-Grenze markiert, die Schichtfläche der Kalksteinbank direkt unterhalb der Grenzschicht ist wellig mit ocker oxidierten Linsen – typische Merkmale für Kreide/Tertiär-Profile weltweit

Asteroideneinschlag oder Vulkanismus? Ergebnisse der geochemischen Untersuchungen

Um Aussagen über den Einfluss von Asteroideneinschlag und Vulkanismus in Sedimentgesteinen treffen zu können, muss man auf geochemische Indikatoren zurückgreifen – also chemische Elemente, die jeweils charakteristisch für den Eintrag durch Asteroideneinschlag oder Vulkanismus sind.

Die geochemischen Untersuchungen und die Mikrofossil-Bestimmungen an dem Aufschluss im Wasserfallgraben zeigen, dass direkt an der Kreide/Tertiär-Grenze, vor etwa 66 Millionen Jahren, zunächst ein Asteroid einschlug und ein Massenaussterben von marinen Kleinstlebewesen (Foraminiferen, Nannoplankton) begann, und im Anschluss daran mehrere kurze Phasen intensiver vulkanischer Aktivität einsetzten. Diese Ergebnisse unterstützen die in der Diskussion befindliche Hypothese, dass der große Asteroideneinschlag im Chicxulub-Krater in Mexiko an der Kreide/Tertiär-Grenze die vulkanische Aktivität der Dekkan-Flutbasalte in Indien ausgelöst oder deutlich verstärkt haben könnte.

In dem kleinen Wasserfallgraben in den Bayerischen Alpen lassen sich also alle drei weltweit bedeutenden, katastrophalen Ereignisse – Asteroideneinschlag, Vulkanismus, Massenaussterben – nachweisen und in eine zeitliche Abfolge bringen.

Weitere Informationen

Herm, D.; Hillebrandt, A. von & Perch-Nielsen, K. (1981): Die Kreide/Tertiär-Grenze im Lattengebirge (Nördliche Kalkalpen) in mikropaläontologischer Sicht. – Geologica Bavarica 82: 319–344.

Regelous, A.; Ćorić, S.; Regelous, M. & Teipel, U. (2022): Geochemical anomalies caused by meteorite impact and volcanism at the Cretaceous-Paleogene boundary, Wasserfallgraben (Lattengebirge, Germany). – Cretaceous Research 140: Article 105306; doi.org/10.1016/j.cretres.2022.105306 (Elsevier).

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