Das INTERREG-A-Projekt protectAlps
Alpen, Schadstoffe und Insekten

Im Projekt protectAlps hat das LfU zusammen mit deutschen und österreichischen Projektpartnern untersucht, welche schädlichen Auswirkungen chemische Stressoren für Insekten im alpinen Raum haben. Es wurden , Standards und Rahmenbedingungen für ein gemeinsames, grenzübergreifendes Vorgehen zum Schutz der alpinen Biodiversität geschaffen.

Hintergrund: Insekten und chemische Stressoren
Die Häufigkeit von Insekten hat in den letzten Jahren stark abgenommen. Verschiedene Ursachen gelten als Auslöser für diesen Rückgang von Artenzahl und Biomasse der Insekten, darunter die Intensivierung der Landwirtschaft und der Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden.
Ein möglicher Grund dafür, dass die Vorkommen von Insekten auch in Gebieten abseits landwirtschaftlich genutzter Flächen zurückgegangen sind, sind global verbreitete Schadstoffe. Insbesondere schwer abbaubare, chemische Stoffe, die als persistente organische Schadstoffe bezeichnet werden (englisch: persistent organic pollutants, POP).
Zu den POP zählen bestimmte international beschränkte Pflanzenschutzmittel wie DDT und Industriechemikalien wie bromierte Flammschutzmittel. Diese chemischen Stressoren können sich im Organismus von Insekten anreichern und gelten als toxisch. Ähnlich verhalten sich auch Schwermetalle wie Quecksilber (Hg) in der Umwelt. Zusammen mit den POPs werden diese Schadstoffe als persistente, bioakkumulierende und toxische Chemikalien (PBTs) bezeichnet. Im Projekt konnten erstmals einzigartige Daten zur Belastung von Insekten im Alpenraum mit PBTs gesammelt werden.
Trotz meist großer Entfernung zu Industriegebieten sind auch die Alpen von Schadstoffeinträgen betroffen. Das liegt daran, dass durch Kondensationseffekte der Eintrag dieser Schadstoffe in kalten Gebieten erhöht ist. Die Substanzen werden ausgeregnet, wodurch auch bei niedrigeren Luftkonzentrationen die Ökosysteme belastet sind.
Neben persistenten organischen Schadstoffen, die die Insekten direkt beeinflussen können, verändert der Eintrag von Stickstoff die Zusammensetzung von Pflanzengesellschaften und wirkt damit indirekt auf das Vorkommen von Insekten in alpinen Regionen. Stickstoffverbindungen werden aus Verkehr und Landwirtschaft über die Atmosphäre eingetragen.


Grundlage: Beobachtung von Chemikalien in den Alpen
Als Grundlage für protectAlps dienen Messungen der Luftkonzentrationen und Einträge von schwer abbaubaren Schadstoffen in den Alpen.

Die Messungen der Luftkonzentrationen werden an der Zugspitze in Bayern und am Hohen Sonnblick in den Hohen Tauern in Österreich durchgeführt (Umweltforschungsstation Schneefernerhaus, UFS und Sonnblick Observatorium, SBO).
Für einen exakten Abgleich der Messwerte sind die Methoden auf bayerischer und österreichischer Seite seit dem Projekt MONARPOP (2005) abgestimmt. Für Gebirge in mittleren Breitengraden sind diese Messreihen weltweit einmalig.
Direkte Wirkungen von Chemikalien auf Insekten
Um Aufschluss über die Belastung der Insekten zu erhalten, wurden zuerst geeignete Arten auf beiden Seiten der Grenze definiert. Hierbei wurden Hummeln, Ameisen und Totengräberkäfer ausgewählt, um sowohl pflanzenfressende Tiere als auch Allesfresser und Aasfresser abzudecken. Gleichzeitig ermöglicht die Auswahl einen Einblick in die Anreicherung von Schadstoffen über die Nahrungskette. Die ausgewählten Insekten wurden in Kampagnen während der Sommermonate 2019 und 2020 gefangen und in Ultraspuren-Labors auf persistente Schadstoffe untersucht.
An der Universität Innsbruck erfolgt die Untersuchung von Unregelmäßigkeiten im Körperbau der Insekten durch Vermessung charakteristischer Strukturen wie beispielsweise der Flügel. Abweichungen zwischen eigentlich symmetrischen Körperteilen gelten als Hinweis für die Belastung der Tiere durch Stressoren. Standardmäßig werden an der Universität Innsbruck genetische Ursachen für Asymmetrien in den Körperteilen untersucht, wie es beispielsweise bei Populationen mit zu geringer Anzahl von Individuen durch Inzucht ausgelöst sein kann.
Bei den im Projekt untersuchten Insekten konnten genetische Ursachen für Asymmetrien ausgeschlossen werden. Es wurden eine breite Palette von PBT-Stoffen in den Tieren detektiert, die sich auch in den Insekten über die Nahrungskette anreichern. Speziell die Konzentrationen von Quecksilber, PCB und polybromierten Flammschutzmitteln korrelierten mit Deformierungen im Körperbau der Insekten. Eine direkte Wirkung dieser Chemikalien auf Insekten, in Konzentrationen wie sie im alpinen Ökosystem an der Zugspitze gemessen wurden, ist demnach als sehr wahrscheinlich anzunehmen.
Konzentrationsbereiche der Substanzen, die mit Asymmetrien korrelierten (bezogen auf Frischgewicht):
Substanzklasse | Hummeln (Bombus pratorum, B. wurflenii) | Ameisen (Formica exsecta, F. aquilonia) | Totengräberkäfer (Nicrophorus vespilloides) |
---|---|---|---|
Quecksilber | 0,65 - 8,81 µg/Kg | 5,3 – 27 µg/Kg | 45 – 97 µg/Kg |
Polychlorierte Biphenyle (PCB) | 0,067 – 0,22 µg/Kg | 0,16 – 1,1 µg/Kg | 0,14 – 12 µg/Kg |
Polybromierte Diphenylether (PBDE) | 0,0049 – 0,86 µg/Kg | 0,0067 – 1,2 µg/Kg | 0,0039 – 0,56 µg/Kg |
Neben den oben genannten Substanzen wurden in Ameisen und Totengräberkäfern auch PFAS nachgewiesen (PFHxA, PFNA, PFHpA, PFOA, PFOS). In Totengräberkäfern wurden zudem auch Organochlorpestizide nachgewiesen (cis-Heptachlorepoxid und Endrin).

Die indirekte Wirkung des Stickstoffs über die Veränderung der Pflanzengesellschaften
Stickstoff spielt eine zentrale Rolle bei der Nährstoffversorgung von Pflanzen. Im Laufe ihrer Evolution haben sich sehr viele Pflanzen an einen Mangel an pflanzen-verfügbaren Stickstoffverbindungen angepasst. Durch Stickstoff-Freisetzungen aus Straßenverkehr und Landwirtschaft greift der Mensch jedoch massiv in den Stickstoffkreislauf ein, sodass auch in entlegenen Gebieten mehr Stickstoff in den Ökosystemen ankommt. Dadurch verändern sich die Pflanzengesellschaften hin zu Arten, für die höhere Stickstoffgehalte besonders günstig sind.

Da viele Insektenarten auf wenige Pflanzenarten spezialisiert sind, sind indirekt auch die Insekten von den Stickstoffeinträgen betroffen.
Um langfristige Trends bei dem Eintrag von Stickstoffverbindungen aus der Luft zu erfassen, sind lange Messreihen in entlegenen Gebieten notwendig.
Im Rahmen des Projekts protectAlps konnte durch die Messung des Stickstoffeintrags und Abstimmung mit Vegetationskartierungen eine Datengrundlage geschaffen werden, um indirekte Effekte auf Insekten durch Stickstoffeintrag in Zukunft abschätzen zu können.
Projektpartner
Neben dem Bayerischen Landesamt für Umwelt (LfU) war aus Bayern die Umweltforschungsstation Schneefernerhaus an der Zugspitze an dem Projekt beteiligt.
Projektpartner aus Österreich waren die Leopold-Franzens-Universität Innsbruck mit dem Institut für Ökologie (Prof. Birgit Schlick-Steiner und Assoc.-Prof. Florian Steiner) aus Tirol und das Sonnblick Observatorium am Hohen Sonnblick im Salzburger Land.

Finanzierung
Finanziert wurde das Projekt von der Europäischen Union im Rahmen des INTERREG-A-Programms, unter dem Titel "Projekt zur Erfassung chemischer Stressoren zum Schutz der alpinen Biodiversität mit Schwerpunkt Insekten" Projektnummer AB173.
Kofinanziert wurde das Projekt vom Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz (StMUV) und von der ZAMG (Österreich).
Projektmanagement
Kontakt:
Publikationen im Projekt
- Hierlmeier et al.: Persistent, Bioaccumulative, and Toxic Chemicals in Wild Alpine Insects: A Methodological Case Study. In: Environmental Toxicology and Chemistry, Volume 41, Issue 5, 2022, 1215–1227.
- Hierlmeier et al.: Persistent, bioaccumulative, and toxic chemicals in insects: Current state of research and where to from here? In: Science of The Total Environment, Volume 825, 2022, 153830.
- Hierlmeier V, Moche W, Ludewig E, Rehm T, Kopf T, Steiner FM, Schlick-Steiner BC, Freier KP, (2019): ProtectAlps: Alpen, persistente Schadstoffe und Insekten. Mitt Umweltchem Ökotox, 25, 4
Weiterführende Informationen
Links
- Förderprogramm INTERREG
- Projektpartner Schneefernerhaus Zugspitze
- Projektpartner Observatorium Hoher Sonnblick
- Projektpartner Leopold-Franzens-Universität Innsbruck- Molecular Ecology
- Bayerisches Umweltministerium: Pressemeldung vom 09.07.2018
- Projekt PureAlps - Schutz der Bayerischen Alpen vor Umweltchemikalien