Biologische Vielfalt - was verbirgt sich hinter diesem Begriff?

Der Begriff Biologische Vielfalt oder auch Biodiversität, ein junger Name für etwas sehr Altes: nämlich die Vielfalt an Leben auf unserem Planeten: bios (griechisch) = Leben, diversitas (lateinisch) = Verschiedenheit. 1986 wurde der Terminus "biological diversity" erstmals vom US-National Research Council offiziell benutzt und schließlich als "BioDiversity" abgekürzt.

"Biodiversität" ist also zum einen eine wissenschaftliche Tatsache, zum anderen ist es aber auch ein Wert, der durch wissenschaftliche, ökonomische, soziale und politische Interessen definiert wird. Deshalb wird dieser Begriff auch manchmal missverständlich oder falsch verwendet.

Ziegeldach mit Moos- und Flechtenbewuchs Auch anthropogene Bauwerke – wie hier ein Ziegeldach mit Moos- und Flechtenbewuchs – können als Lebensraum dienen. In den Hohlräumen zwischen den Ziegeln konnten diverse Insekten nachgewiesen werden; Foto: Hanns-Frieder Michler

Biodiversität – die offizielle Definition

Die offizielle Definition, wie sie im UN-Übereinkommen über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity CBD) festgelegt wurde, lautet:

Variabilität unter lebenden Organismen jeglicher Herkunft, darunter Land-, Meeres- und sonstige aquatische Ökosysteme und die ökologischen Komplexe, zu denen sie gehören. Dies umfasst die Vielfalt innerhalb der Arten (genetische Vielfalt) und zwischen den Arten (Artenvielfalt) und die Vielfalt der Ökosysteme (und entsprechend der Interaktionen darin).

  • Genetische Vielfalt
    Die individuellen Eigenschaften eines Lebewesens sind durch die verschiedenen Varianten seine Gene (sogenannte Allele) und deren Kombination festgelegt. So ist in den Genen zum einen "programmiert", zu was für einer Art das betreffende Lebewesen gehört, aber es sind auch spezifische Eigenschaften dadurch vorgegeben, die das Individuum von anderen seiner Art unterscheidet.
  • Artenvielfalt
    Eine Art ist definitionsgemäß eine Gruppe von Lebewesen, die miteinander fruchtbare Nachkommen zeugen können, die also eine Fortpflanzungsgemeinschaft bilden. Heute sind etwa 1,8 Millionen Arten weltweit bekannt. Für Deutschland schätzt man, dass knapp 45.000 mehrzellige Tierarten und 4105 Arten von Gefäßpflanzenarten vorkommen. Der Begriff Artenvielfalt wird häufig synonym zu "Biodiversität" verwendet, weil die Vielfalt an Arten am anschaulichsten und somit der Öffentlichkeit am leichtesten zu vermitteln ist.
  • Ökosystemvielfalt
    Mit dem Begriff "Ökosystem" wird das ökologische Wirkungsgefüge abstrahiert und modellhaft betrachtet: Gemeint sind die Wechselwirkungen von Organismen (Biozönose) untereinander und mit ihrer nicht-belebten (abiotischen) Umwelt (Biotop) in einem bestimmten (skalenunabhängigen) Raum. Letztlich beeinflussen sich alle Ökosysteme auf der Erde, oft durch abiotische Faktoren wie den globalen Luft- und Wasserkreislauf.
  • Ökosystemdienstleistungen
    Die Dienste und Produkte, die in einem Ökosystem geleistet und hervorgebracht werden und dem Menschen nützlich sind, nennt man Ökosystem-Dienstleistungen. Sie werden in vier Kategorien unterteilt:
    • Versorgungsleistungen
    • Regulierungsleistungen
    • Kulturelle Leistungen
    • Unterstützende Leistungen

Zu den Versorgungsleistungen gehören die grundlegenden Dinge wie Nahrung, Arzneimittel und Rohstoffe für eigentlich alles, was wir heute nutzen.
Regulierungsleistungen nennt man die Prozesse, die beispielsweise Schadstoffe aus Wasser, Luft und Boden filtern oder das (lokale) Klima regulieren. Aber auch der Schutz vor Hochwasser durch intakte Auen oder der Schutz vor Lawinen durch intakte Bergwälder gehören zu dieser Kategorie.
Die Kulturellen Leistungen umfassen Werte wie Erholung, Ästhetik, Spiritualität oder Heimatverbundenheit. Dass der Mensch Erholung und Ruhe in der Natur findet, ist ein wichtiger Faktor für Wohlbefinden und Gesundheit. Die verschiedenen Ökosysteme oder Bestandteile darin haben die Menschheit seit je inspiriert und dadurch Kunstwerke, aber auch weitreichende Erfindungen entstehen lassen.
Zuletzt die Unterstützenden Leistungen sind Prozesse, die die vorangegangenen Leistungen erst möglich machen. Dazu gehören beispielsweise die Bodenbildung oder allgemein Nährstoffkreisläufe. Auch die Photosynthese zählt zu dieser Kategorie. Sie ist deshalb so bedeutend, weil Sauerstoff freigesetzt wird und sich dadurch erst höhere Lebensformen entwickeln konnten, denn die ursprünglich sauerstofffreie Erdatmosphäre wurde durch photosynthesetreibende Cyanobakterien mit Sauerstoff angereichert.
Die Entwicklung des Menschen wurde durch die Ökosystemdienstleistungen erst möglich und hat uns auch zu dem jetzigen Stand unserer kulturellen Diversität gebracht.

Sumpfgladiolen Sumpfgladiolen-Meer in der Königsbrunner Heide südlich von Augsburg – dem größten bekannten Vorkommen in Deutschland. Die Sumpfgladiole, auch Sumpf-Siegwurz genannt, ist eine Charakterart der Streuwiesen, man findet sie aber auch auf Halbtrockenrasen und in Kalk-Trockenkiefernwäldern; Foto: Miriam Hansbauer

Vielfalt lohnt sich

Eine Vielfalt an Genen ermöglicht es, dass sich eine Art an veränderte Umweltbedingungen (Klimaverschiebungen, Krankheitserreger etc.) anpassen kann, indem die Individuen mit entsprechend "passender" genetischer Ausstattung überleben können. Auch die Vielfalt innerhalb eines Ökosystems hat eine ähnliche Wirkung. Je diverser ein Ökosystem, desto größer seine sogenannte Resilienz, also seine "Flexibilität", seine Widerstandsfähigkeit. Damit ist die Kapazität des Systems gemeint, Störeinflüsse und von außen induzierte Veränderungen so zu integrieren oder abzumildern, dass es sich zwar neu ausrichten muss, dabei aber dieselbe Struktur und Funktion (zum Beispiel Ökosystemdienstleistungen) beibehält.

Auch aus ökonomischer Sicht wurde die Biodiversität 2010 in der TEEB-Studie (The Economics of Ecosystems and Biodiversity) bewertet. Darin wird der Begriff "Naturkapital" als eine ökonomische Metapher eingeführt, um den begrenzten Vorrat an physischen und biologischen Ressourcen auf unserem Planeten deutlich zu machen, ebenso wie die begrenzte Fähigkeit der Ökosysteme, Güter und Leistungen bereitzustellen. Anders ausgedrückt, entspricht die Biodiversität dem Kapital und die verschiedenen Ökosystemdienstleistungen entsprechen der Dividende, die aus dem Kapital herausfließt.

Für uns Menschen sollten eigentlich schlichtweg Respekt und Achtung vor dem Leben – vor der Vielfältigkeit des Lebens – Grund genug sein, entsprechend sorgsam damit umzugehen. Aber zusätzlich ist die Biodiversität von unfassbarem Wert für den Menschen, letztlich deshalb, weil der Mensch selbst Teil dieser Vielfalt ist und ohne sie gar nicht wäre, und ohne sie nicht weiter existieren kann.

Dekade der Biologischen Vielfalt

Die Zielsetzungen von 2006 für 2010 wurden klar verfehlt, deshalb beschlossen die Vereinten Nationen am 22. Dezember 2010 die Jahre 2011-2020 zur Internationalen Dekade der Biologischen Vielfalt zu ernennen. In diesem Rahmen sollen nun weitere Initiativen gestartet werden, um das gesellschaftliche Bewusstsein für den Wert der biologischen Vielfalt und die Verantwortung für ihren Schutz und die nachhaltige Nutzung ihrer Bestandteile zu fördern.

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