Naturschutzrelevante Gutachten in Bayern

Landesbund für Vogelschutz in Bayern e. V. LBV
2024

Artenhilfsprogramm Felsbrüter: Maßnahmen zum Schutz und zur Bestandsförderung für Uhu und Wanderfalke in den Jahren 2023 bis 2025. Jahresbericht 2023

Unveröffentlichtes Gutachten im Auftrag von: Bayerisches Landesamt für Umwelt, 55 Seiten, Augsburg
Landkreise: Aichach-Friedberg,Amberg-Sulzbach,Ansbach,Aschaffenburg,Aschaffenburg Stadt,Bad Kissingen,Bad Tölz-Wolfratshausen,Berchtesgadener Land,Dingolfing-Landau,Eichstätt,Erlangen Stadt,Forchheim,Fürth Stadt,Garmisch-Partenkirchen,Kelheim,Kitzingen,Landshut,Lichtenfels,Miesbach,Miltenberg,München,München Stadt,Neumarkt i.d.Opf.,Neustadt a.d.Aisch-Bad Windsheim,Nürnberg Stadt,Oberallgäu,Regensburg,Rhön-Grabfeld,Rosenheim,Schweinfurt Stadt,Traunstein,Weißenburg-Gunzenhausen
Artengruppe:
Vögel
Stichwörter:
Felsbrüter, sekundäre Bruthabitate, Abbaustätten, hoher Störungsdruck, Klettersport, Freizeitaktivitäten, intensive Schutzmaßnahmen
Landkreis(e):
Aichach-Friedberg,Amberg-Sulzbach,Ansbach,Aschaffenburg,Aschaffenburg Stadt,Bad Kissingen,Bad Tölz-Wolfratshausen,Berchtesgadener Land,Dingolfing-Landau,Eichstätt,Erlangen Stadt,Forchheim,Fürth Stadt,Garmisch-Partenkirchen,Kelheim,Kitzingen,Landshut,Lichtenfels,Miesbach,Miltenberg,München,München Stadt,Neumarkt i.d.Opf.,Neustadt a.d.Aisch-Bad Windsheim,Nürnberg Stadt,Oberallgäu,Regensburg,Rhön-Grabfeld,Rosenheim,Schweinfurt Stadt,Traunstein,Weißenburg-Gunzenhausen
Auftraggeber:
Bayerisches Landesamt für Umwelt

Zusammenfassung

Der Landesbund für Vogel- und Naturschutz in Bayern e.V. LBV betreibt und koordiniert in Bayern mit Förderung und im Auftrag verschiedener Behörden des Freistaats Bayern seit Anfang der 1980er Jahre landesweit Schutzmaßnahmen für den Wanderfalken und seit 2001 auch für den Uhu. Ein Großteil dieser Maßnahmen werden im Auftrag des Bayerischen Landesamts für Umwelt LfU im „Artenhilfsprogramm Felsbrüter“ umgesetzt. Dieses beinhaltet im Vertragszeitraum 2023-2025 folgende Aufgabenschwerpunkte: • ein systematisches Monitoring von Revierbesatz und Bruterfolg beider Arten im Nördlichen und Teilen des südlichen Frankenjura sowie des Uhus in Unterfranken und dem Isartal. • ein systematisches Monitoring von Revierbesatz und Bruterfolg beider Arten im bayerischen Alpenraum getrennt nach den naturräumlichen Haupteinheiten „Schwäbisch-oberbayerische Voralpen“ und „Nördliche Kalkalpen“ • die Sammlung von Streudaten zum Vorkommen und zur Reproduktion beider Arten außerhalb der systematisch und zumindest annähernd flächendeckend kontrollierten Probeflächen • die Organisation, Umsetzung und Kontrolle von Lenkungsmaßnahmen in klettersportlich intensiv genutzten Regionen im Nördlichen und in Teilen des Südlichen Frankenjura in enger Kooperation mit verschiedensten anderen Interessengruppen DAV, IG Klettern • die Organisation, Umsetzung und Kontrolle von Lenkungsmaßnahmen in klettersportlich genutzten Bereichen des Alpenraums in enger Kooperation mit verschiedensten anderen Interessengruppen DAV, IG Klettern, Bundeswehr, Bergwacht und weitere sowie die Akquise von lokal tätigen Felsbetreuern mit Aufbau eines entsprechenden Betreuersystems • die Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen zur Sicherung sekundärer Lebensräume für den Uhu in Abbaustätten in Kooperation mit den Betreibern und den Industrieverbänden in Unterfranken und in den Landkreisen Neumarkt und Amberg-Sulzbach • weitergehende Beratungsleistungen gegenüber Behörden und breiter Öffentlichkeit Dieses Aufgabenspektrum – insbesondere das zeit- und personalaufwändige Monitoring von Revierbesatz und Bruterfolg – wird zu großen Teilen durch rund 150 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des LBV und seiner Partnerverbände – etwa der Aktion Wanderfalken- und Uhuschutz e.V. AWU abgedeckt. Diesen gilt für ihr Engagement besonderer Dank! Der Erhaltungszustand der Zielarten stellt sich aufgrund der erhobenen Bestands- und Reproduktionsdaten unterschiedlich dar: Der Bestand des Wanderfalken in Bayern dürfte aktuell etwas über den 2012 geschätzten 260-280 Revierpaaren Rödl et al. 2012 liegen. Systematisch und flächendeckend erhobene Bestands- und Brutdaten liegen im Berichtsjahr 2023 für 84 WanderfaIkenreviere im Nördlichen und Südlichen Frankenjura, im Raum Regensburg und in den bayerischen Alpen vor. Zudem sind meist unsystematisch erhobene, oft lückenhafte Streudaten zu weiteren 137 Revieren in anderen Regionen Bayerns eingegangen. Diesen Daten zufolge hat sich der Bestand in allen klassischen Verbreitungszentren nach stetigem, sich über viele Jahre erstreckenden Anstieg wieder mindestens auf dem Niveau vor dem ‚pesticide crash‘ der 1950er und 1960er Jahre stabilisiert. Aber auch außerhalb der klassischen Verbreitungszentren hat der Wanderfalke in den letzten Jahren als Bauwerksbrüter noch bislang unbesiedelte Regionen erschlossen. Mit 1,25 Jungvögeln pro Revierpaar 2022: 1,13 lag der Bruterfolg des Wanderfalken in den Projektgebieten 2023 über dem Niveau des Vorjahres und entspricht fast genau dem langjährigen Mittel 1,24 Juv / Revierpaar seit 2010. Beide Werte liegen so auch leicht über den Erwartungen an eine sich selbst erhaltende Population 1,2 Juv. / Revierpaar, vgl. Kramer 2000, bleiben jedoch hinter dem Wert von 1,5 Jungfalken pro Revierpaar zurück, den Kramer 2000 als Basis für die Erholung der Wanderfalkenbestände in den 1980er Jahren nennt. Die seit 2001 deutlich gestiegenen Bestände dürften daher auch durch Reproduktionsüberschüsse in anderen Regionen zu erklären sein. Denkbar wäre etwa, dass die durchschnittlich höheren Reproduktionszahlen gebäudebrütender Falken, die jedoch nicht systematisch erfasst werden, für diese Entwicklung verantwortlich sind. Zugleich sind derzeit keine Gefährdungen erkennbar, die die Gesamtpopulation des außeralpinen Raums bedrohen könnten, sieht man einmal von natürlichen Faktoren wie dem Uhu als Prädator einerseits und dem hohen Störungsdruck auf die Felsbrutvorkommen in den stark von Sportkletterern frequentierten Mittelgebirgsregionen andererseits ab. Deren Zahl nimmt seit Jahren stetig zu, und damit auch der Störungsdruck auf die Felsbruthabitate der Mittelgebirge. Besonders deutlich wurde dies in den durch die Corona-Pandemie geprägten Jahren 2020 und 2021: Aufgrund wiederholt angeordneter Beschränkungen für Reisen außerhalb Deutschlands war eine deutlich höhere Besucherfrequenz z.B. an den Kletterfelsen des Frankenjura festzustellen. Auch im Jahr 2023 waren die Klettergebiete stark frequentiert. Der wachsende Störungsdruck wird bislang sehr effektiv durch gezielte Lenkungsmaßnahmen abgemildert, die in enger Kooperation mit dem Deutschen Alpenverein und der IG Klettern umgesetzt werden. Die Lenkungsmaßnahmen, die im Wesentlichen temporäre Felssperrungen beinhalten, werden von der überwiegenden Mehrzahl der Sportkletterer sehr gut akzeptiert, nicht zuletzt aufgrund der über Jahre aufgebauten, soliden Vertrauensbasis zwischen dem LBV und den Kletterverbänden. Die Fortführung dieser aufwändigen Maßnahmen bleibt auch in Zukunft unabdingbar, wenn man die über Jahre im Wanderfalkenschutz mühselig aufgebauten Erfolge nicht aufs Spiel setzen möchte. Eine neue Gefahr könnte dem Wanderfalken zudem im nach wie vor boomenden ‚Geocaching‘ erwachsen. Es verschärft den Störungsdruck, dem die primären Bruthabitate des Wanderfalken aktuell ohnehin unterliegen. Zur Klärung der Situation des Wanderfalken in den Bayerischen Alpen wurde 2021 eine flächendeckende Erfassung begonnen. Aus den bislang erhobenen Daten ergeben sich Hinweise, dass auch dort der Störungsdruck durch den Klettersport lokal ein ernsthaftes und zunehmendes Problem darstellt. Ein wichtiger Schritt zur Sicherung der bekannten alpinen Wanderfalkenvorkommen ist es daher, lokale Besucherlenkungskonzepte zu erarbeiten und dort, wo diese bereits bestehen, unbedingt fortzuführen. Essenziell ist dabei die Akquise und Bindung von geschultem Personal, welches die zeitaufwändigen Monitoring- und Koordinationsaufgaben durchführt. Diese Ziele wurden im Jahr 2023 weiterverfolgt. Der Gesamtbestand des Uhus in Bayern wurde auf 450 bis 550 Brutpaare geschätzt von Lossow 2022 mündlich, einige Erfassungslücken geben jedoch Grund zur Annahme, dass die Zahlen tatsächlich noch höher liegen. Im Rahmen des Artenhilfsprogramms wurden 2023 Bestands- und Brutdaten zu insgesamt 370 Revieren in Unterfranken, im Nördlichen und Südlichen Frankenjura, entlang der Isar und im bayerischen Alpenraum erhoben, von denen für 253 ein Besatz nachgewiesen werden konnte. Zudem liegen Streudaten zu 144 weiteren Revieren mit 117 Uhu-Nachweisen außerhalb dieser systematisch bearbeiteten Probeflächen vor. Diesen Daten zufolge stellt sich das Jahr 2023 als ein leicht überdurchschnittliches Jahr für den Uhu dar – das auffällig schlechte Jahr 2022 kann daher erwartungsgemäß als negativer Ausreißer bezeichnet werden. Solche „schlechten Uhu-Jahre“ treten – zumeist in Abhängigkeit von der Nahrungsverfügbarkeit – regelmäßig auf zuvor bereits 2018, 2013, 2011 und haben sich schon in der Vergangenheit nicht nennenswert auf den langfristig positiven Bestandtrend ausgewirkt. Der Bestand des Uhus in Bayern ist daher derzeit als mindestens stabil einzuschätzen. Auch die Reproduktion lag 2023 in vielen Regionen Bayerns wieder auf einem höheren Niveau als im Vorjahr. Der Bruterfolg war auf den meisten Probeflächen des Artenhilfsprogramms – wohl aufgrund der wieder höheren Nahrungsverfügbarkeit Kleinsäuger – mit im Schnitt 0,64 Jungvögeln pro besetztes Revier 2022: 0,30 bzw. 0,96 Jungvögeln pro Revierpaar 2022: 0,62 deutlich über den Werten von 2022. Beide Werte lagen 2023 etwa im Bereich der jeweiligen langjährigen Mittelwerte seit 2010. Trotz stabiler Gesamtbestandszahlen im Freistaat, werden regionale Diskrepanzen in der Reproduktion innerhalb Bayerns und zu Verbreitungszentren in anderen Bundesländern deutlich. Diese müssen weiterhin diskutiert werden, wenngleich die von Dalbeck 2003 formulierten Anforderungen an eine sich selbst erhaltende Population mit mindestens 1,0 Juv. / besetztes Revier für Bayern wohl keine Gültigkeit besitzen. Die systematischen Untersuchungen im Rahmen des AHP haben seit 2001 in Bayern einen durchschnittlichen Bruterfolg von 0,67 flüggen Jungvögeln pro besetztes Revier n 3.967 besetzte Reviere bzw. 0,95 flüggen Jungvögeln pro Revierpaar n 2.734 Revierpaare ergeben. Nachdem der Brutbestand des Uhus in Bayern mindestens als stabil angesehen werden kann, sind diese Werte für den Erhalt der bayerischen Population ausreichend. Mit der anhaltend niedrigen Reproduktion gehen eine Reihe aktueller Gefährdungsfaktoren einher: • Der Störungsdruck durch Natursportarten hat auf den sehr störungsempfindlichen und ganzjährig am Brutplatz ansässigen Uhu noch deutlichere Auswirkungen als auf den Wanderfalken. Dies betrifft insbesondere den Klettersport. Dem Störungsdruck an bekletterten Brutfelsen kann im Rahmen des Artenhilfsprogramms nur durch die oben genannten intensiven Lenkungsmaßnahmen ausreichend begegnet werden, wie sie im Rahmen des Artenhilfsprogramms im Frankenjura und zum Teil auch schon im bayerischen Alpenraum umgesetzt werden. Völlig unklar dagegen sind die Auswirkungen des Bouldersports, der sich ähnlich wie der Klettersport einer zunehmenden Beliebtheit erfreut. Anders als der Klettersport werden zum Bouldern jedoch kleinere, wenig markante Felsen und Blöcke genutzt, die in ihrer Gesamtheit weder erfasst und veröffentlicht sind noch im Umkehrschluss kontrolliert werden können. Gerade solche Felsstrukturen oder deren unmittelbares Umfeld können für den Uhu als potenzielle Brutplätze interessant sein, unterliegen aber möglicherweise einem erheblichen Störungsdruck aufgrund bislang fehlender Lenkungsmaßnahmen. Vor allem an Boden-Brutplätzen führen auch andere Natursportarten – Mountainbiken, Wandern etc. – zu fatalen Störungen. Auch diese sind – regional und oft im Rahmen lokaler, individuell an die entsprechenden Reviere angepasst – Gegenstand von Lenkungsmaßnahmen im Rahmen des Artenhilfsprogramms. Schwieriger ist es dagegen, Störungen durch Geocaching entgegenzuwirken: Diese mittlerweile etablierte, aber nach wie vor boomende Trendsportart verschärft den Störungsdruck in vielen Revieren. Beobachtet wird die Zunahme von Geocaches in den bislang oft weniger störungsgefährdeten sekundären Bruthabitaten in Abbaustätten. Diejenigen, die diesen Sport betreiben, sind aber sehr viel schwieriger zu erreichen als zum Beispiel Sportkletterer. Zahlen zur Dimension der Konflikte liegen für Bayern nur für den Südlichen Frankenjura vor: Dort sind etwa 51 % aller Uhureviere durch Geocaching und die daraus resultierenden Störungen potenziell beeinträchtigt. • Fast die Hälfte aller bayerischen Uhuvorkommen liegt in Steinbrüchen und anderen Abbaustätten. Dort sind Bruten und Brutplätze durch den Abbaubetrieb gefährdet, vor allem ist ein erheblicher Anteil dieser sekundären Bruthabitate mittel- bis langfristig durch Abbaufortschritt, Verfüllung und Rekultivierung bedroht. Diesen Risiken begegnet das Artenhilfsprogramm in Unterfranken sowie in den Landkreisen Neumarkt und Amberg-Sulzbach in der Oberpfalz mit dem Aufbau enger Kontakte zu den Betreibern, durch deren Beratung und durch Maßnahmen zur Sicherung der jeweiligen Brutplätze und Sekundärlebensräume. • An windhöffigen Standorten der Mittelgebirge kommt es gelegentlich zu Konflikten mit der Windkraftnutzung. Detaillierte Angaben können den in Anlage 1 der Arbeitshilfe Vogelschutz und Windenergienutzung LfU 2017 genannten Kartierhinweisen zum Uhu entnommen werden. • In Regionen mit hohen Anteilen bodenbrütender Revierpaare, z.B. den dealpinen Flusstälern, kann auch die Waldnutzung zu erheblichen Beeinträchtigungen der Reproduktion des Uhus führen, so dass ein Ausbleiben von Bruten bzw. Brutverluste möglich sind. Im Rahmen des Artenhilfsprogramms wurde im vorangegangenen Vertragszeitraum begonnen, zumindest im Inn- und Salzachtal in betroffenen Revieren Kontakte zu Waldbesitzern und Forstbetrieben zu knüpfen, um eine Reduzierung solcher Störungen zu erreichen.

Erstellt am: 16.04.2024

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