Naturschutzrelevante Gutachten in Bayern

Institut für Umweltplanung Leibniz Universität Hannover
2021

Beachlife an der Oberen Isar: räumliche und zeitliche Dynamik in einem Hotspot der Biodiversität

Unveröffentlichtes Gutachten im Auftrag des Bayerischen Landesamtes für Umwelt (LfU), 70 Seiten, Hannover.
Landkreise: Bad Tölz-Wolfratshausen,Garmisch-Partenkirchen
Artengruppe:
Gefäßpflanzen
Stichwörter:
Obere Isar, Wildfluss, Deutsche Tamariske, Geschiebedynamik, Feinsedimentablagerungen
Landkreis(e):
Bad Tölz-Wolfratshausen,Garmisch-Partenkirchen
Auftraggeber:
Bayerisches Landesamt für Umwelt

Zusammenfassung

Die Isar oberhalb des Sylvensteinspeichers ist der letzte große naturnahe Wildfluss in Bayern und gemeinsam mit dem Tiroler Lech auch in den gesamten Nordalpen. In Teilbereichen sind aber auch dort deutliche Beeinträchtigungen der Auendynamik erkennbar, die eine Gefährdung der Biodiversität darstellen. Die zwischen Krüner Wehr und Sylvensteinspeicher im Zeitraum 1921 bis 2006 eingetretenen Veränderungen der Vegetationsverhältnisse sind bereits umfassend dokumentiert (Reich et al. 2008). Ziel dieses Gutachtens ist es, die weiteren Veränderungen seit 2006 bis 2018 (aktuellster verfügbarer Luftbildjahrgang) zu untersuchen. Als wichtige, bislang unbearbeitete Aspekte kommen die vertiefte Betrachtung der Feinsedimentproblematik und ein Vergleich mit den Entwicklungen an der Isar zwischen Mittenwald und Scharnitz, sowie am Rißbach, dazu. Außerdem sollen der Erhaltungszustand des FFH-LRT 3230 und die Situation von Myricaria germanica, für deren Schutz Bayern eine besondere Verantwortung hat, untersucht werden. Aufbauend auf die Analyse und Bewertung dieser Ergebnisse sollen Vorschläge für mögliche Maßnahmen entwickelt werden, die geeignet sind problematischen Entwicklungen entgegen zu wirken. Dies betrifft insbesondere die Bewirtschaftung des Krüner Wehrs. Neben der Auswertung aktueller und älterer Luftbildbefliegungen wurden in den Jahren 2019 und 2020 umfangreiche Feldarbeiten in 40 Transekten an der Isar zwischen Sylvensteinspeicher und Krüner Wehr, 7 Transekten an der Isar zwischen Mittenwald und Scharnitz und 7 Transekten am Rißbach durchgeführt. Zusätzlich zu den aktuellen Vegetationseinheiten wurde dort die Verbreitung und der Deckungsgrad der Feindsedimente (Schluff), sowie die Anzahl und der Entwicklungszustand der Deutschen Tamariske (Myricaria germanica) kartiert. Die wichtigsten Ergebnisse sind: • Die negativ zu bewertenden Trends bei der Veränderung der Vegetationsverhältnisse haben sich in an der Isar zwischen Krüner Wehr und der Rißbachmündung auch nach 2006 bis heute weiter fortgesetzt, während unterhalb der Rißbachmündung bis zum Sylvensteinspeicher weiterhin eine naturnahe Wildflusslandschaft ohne problematische Entwicklungstendenzen existiert. • Das „dichte Weidengebüsch“, das sich zwischen Krüner Wehr und Rißbachmündung seit 1993 stark ausbreitet hat seit 2006 weiter zugenommen, besonders stark zwischen Markgraben und Rißbachmündung. Dadurch wurden gehölzfreie Sukzessionsstadien (in Teilen FFH-Lebensraumtyp 3220) lückiges Weidengebüsch mit geringer Krautschichtdeckung (in großen Teilen FFH-LRT 3230) noch weiter zurückgedrängt. • Trotz der Hochwasser 2010, 2011 und 2013 (mit Abflüssen bis zu 150 m³/s) wurden seit dem Gutachten von 2008 keine substanziellen Verbesserungen für die wertgebenden Lebensraumtypen (hauptsächlich FFH-LRT 3220, FFH-LRT 3230, FFH-LRT 3240) und Biozönosen erreicht, sondern deren ungünstige Entwicklung hat sich weiter fortgesetzt. • Der Bestand der Deutschen Tamariske (Myricaria germanica) kann aufgrund der Individuenzahlen und noch stattfindenden Naturverjüngung derzeit als vitale Population angesehen werden. Allerdings ist der Lebensraumtyp 3230 „Alpine Flüsse mit Ufergehölzen mit Deutscher Tamariske“ auf großen Strecken stark rückläufig und sein Erhaltungszustand als kritisch zu bewerten. • Am Rißbach konnten für den Zeitraum 1950 bis 2018 keine problematischen Veränderungen der Vegetationsverhältnisse festgestellt werden. Schluffablagerungen spielen dort, ebenso wie das dichte Weidengebüsch, praktisch keine Rolle. An der Isar zwischen Scharnitz und Mittenwald konnte seit 2000 eine gewisse Ausdehnung des dichten Weidengebüsches beobachtet werden, die aber seit 2008 nicht weiter zugenommen hat. Auch großflächige Ablagerungen von schluffigen Feinsedimenten finden sich nur auf einem kurzen Teilstück. • Die Analyse der Schluffablagerungen zeigt deutlich, dass die Entwicklung vom „lückigen Weidengebüsch mit geringer Krautschichtdeckung“ über das „lückige Weidengebüsch mit hoher Krautschichtdeckung“ zum „dichten Weidengebüsch“ durch die Schluffablagerungen massiv begünstigt wird. Dieser Prozess verstärkt durch die Strömungsberuhigung wiederum die Sedimentation von Schluff bei künftigen Hochwassern und wird diese problematische Entwicklung damit in Zukunft noch weiter vorantreiben. Eine weitere Verschlechterung des Erhaltungszustandes von FFH-LRT 3230 und ein weiterer Rückgang seiner Fläche ist damit zu erwarten. Um für das FFH-Gebiet im Isarabschnitt vom Krüner Wehr bis zur Rißbachmündung einen günstigen Erhaltungszustand zu sichern bzw. wieder herzustellen sind deshalb Maßnahmen erforderlich, die die Morphodynamik in der Aue zu verbessern. Das übergeordnete naturschutzfachliche Ziel für die Isar zwischen Krüner Wehr und Rißbachmündung muss eine Verbesserung der Morphodynamik in der Aue sein. Dafür sind grundsätzlich zwei Faktoren zu betrachten, nämlich die Abflussdynamik und der Geschiebehaushalt. Die einzige Möglichkeit Verbesserungen der Abflussdynamik zu erreichen besteht am Krüner Wehr. Für das FFH-Gebiet und seine Arten sowie Lebensgemeinschaften wäre die beste und langfristig nachhaltigste Lösung die Überleitung einzustellen und das Krüner Wehr rückzubauen. Ein unveränderter Weiterbetrieb der Isarausleitung wie bisher wäre die schlechteste Lösung und mit den Erhaltungszielen für das FFH-Gebiet nicht vereinbar. Zwischen diesen beiden Extrempositionen sind verschiedene Maßnahmen denkbar. Als Maßnahme, die einen substanziellen Beitrag leisten kann, sehen wir bei Hochwasserereignissen das Wehr länger geöffnet zu halten und die Überleitung erst einige Tage nach dem Hochwasserscheitel wieder in Betrieb zu nehmen. Dadurch würde das Abflusskontinuum erheblich verbessert. Das Ziel sollte sein, bei Stauraumspülungen einen Großteil des Kieses und insbesondere des Gerölls bis hinter die Weberwiese durchzuleiten. Bei welchen Abflüssen dies in welchen Zeiträumen möglich wäre sollte – soweit nicht schon erfolgt – dringend geklärt werden. Es ist außerdem erforderlich, den Austrag von vorhandenen Feinsedimentablagerungen in der Aue zu fördern und den künftigen Eintrag auf höher gelegene Kiesbänke zu reduzieren. Es ist unklar in welchem Umfang und wie schnell die oben genannten Maßnahmen zur Verbesserung der Abfluss- und Geschiebedynamik in der Lage sind die problematischen Entwicklungen aufzuhalten. Wahrscheinlich sind darüber hinaus auch weitere punktuelle Initialmaßnahmen in der Aue erforderlich, um Seitenerosion und Umlagerung wieder zu ermöglichen. Die Ursachen und Wirkungszusammenhänge in diesem Isarabschnitt sind komplex und es gibt dafür keine einfachen Lösungen. Die herausragende naturschutzfachliche Bedeutung rechtfertigt aber erhebliche Anstrengungen zu ihrem Schutz.

Erstellt am: 03.03.2021

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