Naturschutzrelevante Gutachten in Bayern

Landesbund für Vogelschutz in Bayern e. V. (LBV)
2022

Artenhilfsprogramm Felsbrüter Maßnahmen zum Schutz und zur Bestandsförderung für Uhu und Wanderfalke in den Jahren 2021 bis 2022 Jahresbericht 2021

Unveröffentlichtes Gutachten im Auftrag des Bayerischen Landesamtes für Umwelt (LfU), 45 S., Augsburg.
Landkreise: Bayern
Artengruppe:
Vögel
Stichwörter:
Felsbrüter, Uhu, Wanderfalke, Störungsdruck durch Natursportarten, Klettersport, Geocaching, sekundäre Bruthabitate in Steinbrüchen, Gefährdungsfaktoren, Abbaubetrieb, Waldnutzung, Windkraftanlagen,
Landkreis(e):
Bayern
Auftraggeber:
Bayerisches Landesamt für Umwelt

Zusammenfassung

Der Landesbund für Vogelschutz in Bayern e.V. (LBV) betreibt und koordiniert in Bayern mit Förde-rung und im Auftrag verschiedener Behörden des Freistaats Bayern seit Anfang der 1980er Jahre lan-desweit Schutzmaßnahmen für den Wanderfalken und seit 2001 auch für den Uhu. Ein Großteil dieser Maßnahmen werden im Auftrag des Bayerischen Landesamts für Umwelt (LfU) im „Artenhilfspro-gramm Felsbrüter“ umgesetzt. Dieses beinhaltete 2021 folgende Aufgabenschwerpunkte: • ein systematisches Bestands- und Brutmonitoring in ausgewählten Teilregionen (Nördlicher Fran-kenjura, Teile des südlichen Frankenjura, Isartal) • erstmals ein systematisches Bestands- und Brutmonitoring im bayerischen Alpenraum (getrennt nach den naturräumlichen Haupteinheiten „Schwäbisch-oberbayerische Voralpen“ und „Nördliche Kalkalpen“) • die Sammlung von Streudaten zum Vorkommen und zur Reproduktion beider Arten außerhalb der systematisch und zumindest annähernd flächendeckend kontrollierten Probeflächen, • die Organisation, Umsetzung und Kontrolle von Lenkungsmaßnahmen in klettersportlich intensiv genutzten Regionen (im Nördlichen und in Teilen des Südlichen Frankenjura) in enger Koopera-tion mit verschiedensten anderen Interessengruppen (DAV, IG Klettern) • die Organisation, Umsetzung und Kontrolle von Lenkungsmaßnahmen in klettersportlich genutz-ten Bereichen des Alpenraums in enger Kooperation mit verschiedensten anderen Interessen-gruppen (DAV, IG Klettern, Bundeswehr, Bergwacht und weitere) sowie die Akquise von lokal tä-tigen Felsbetreuern mit Aufbau eines entsprechenden Betreuersystems • die Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen zur Sicherung sekundärer Lebensräume für den Uhu in Abbaustätten in Kooperation mit den Betreibern und den Industrieverbänden in Unter-franken und in den Landkreisen Neumarkt und Amberg-Sulzbach, • weitergehende Beratungsleistungen gegenüber Behörden und breiter Öffentlichkeit Dieses Aufgabenspektrum - insbesondere das zeit- und personalaufwändige Bestands- und Brutmoni-toring - wird zu großen Teilen durch rund 150 ehrenamtliche Mitarbeiter des LBV und seiner Partner-verbände - etwa der Aktion Wanderfalken- und Uhuschutz e.V. (AWU) abgedeckt. Diesen gilt für ihr Engagement besonderer Dank! Der Erhaltungszustand der Zielarten stellt sich aufgrund der erhobenen Bestands- und Reproduktions-daten unterschiedlich dar: Der Bestand des Wanderfalken in Bayern wird aktuell auf 260-280 Paare geschätzt (RÖDL et al. 2012). Systematisch und flächendeckend erhobene Bestands- und Brutdaten liegen im Berichtsjahr aus dem Artenhilfsprogramm und anderen Erhebungen für 86 WanderfaIken-vorkommen in Unterfranken, im Nördlichen Frankenjura, im Raum Regensburg und aus den bayeri-schen Alpen vor. Zudem sind meist unsystematisch erhobene, oft lückenhafte Streudaten zu weiteren 113 Revieren in anderen Regionen Bayerns eingegangen. Diesen Daten zufolge hat sich der Bestand in allen klassischen Verbreitungszentren nach stetigem, sich über viele Jahre erstreckenden Anstieg wieder mindestens auf dem Niveau vor dem ‚pesticide crash‘ der 1950er und 1960er Jahre stabilisiert. Aber auch außerhalb der klassischen Verbreitungszentren hat der Wanderfalke in den letzten Jahren als Bauwerksbrüter noch bislang unbesiedelte Regionen erschlossen. Zu deren Status sind aufgrund der wenigen vorliegenden Daten derzeit aber kaum gesicherte Aussagen möglich.Der Bruterfolg des Wanderfalken bleibt zwar in vielen Regionen - etwa im Bayerischen Wald und im Nördlichen Frankenjura - hinter den Erwartungen an eine sich selbst erhaltende Population zurück, dies wird aber offenbar durch Reproduktionsüberschüsse in anderen Regionen immer noch ausgegli-chen. Zugleich sind derzeit keine Gefährdungen erkennbar, die die Gesamtpopulation des außeralpi-nen Raums bedrohen könnten, sieht man einmal von natürlichen Faktoren wie dem Uhu als Prädator einerseits und dem hohen Störungsdruck auf die Felsbrutvorkommen in den stark von Sportkletterern frequentierten Mittelgebirgsregionen andererseits ab. Deren Zahl nimmt seit Jahren stetig zu, und da-mit auch der Störungsdruck auf die Felsbruthabitate der Mittelgebirge. Besonders deutlich wurde dies in den durch die Corona-Pandemie geprägten Jahren 2020 und 2021: Aufgrund wiederholt angeord-neter Beschränkungen für Reisen außerhalb Deutschlands war eine deutlich höhere Besucherfre-quenz z.B. an den Kletterfelsen des Frankenjura festzustellen. Der wachsende Störungsdruck wird bislang sehr effektiv durch gezielte Lenkungsmaßnahmen abge-mildert, die in enger Kooperation mit dem Deutschen Alpenverein und der IG Klettern umgesetzt wer-den. Die Lenkungsmaßnahmen, die im Wesentlichen temporäre Felssperrungen beinhalten, werden von der überwiegenden Mehrzahl der Sportkletterer sehr gut akzeptiert, nicht zuletzt aufgrund der über Jahre aufgebauten, soliden Vertrauensbasis zwischen dem LBV und den Kletterverbänden. Die Fortführung dieser aufwändigen Maßnahmen bleibt auch in Zukunft unabdingbar, wenn man die über Jahre im Wanderfalkenschutz mühselig aufgebauten Erfolge nicht aufs Spiel setzen möchte. Eine neue Gefahr könnte dem Wanderfalken zudem im nach wie vor boomenden ‚Geocaching‘ er-wachsen. Es verschärft den Störungsdruck, dem die primären Bruthabitate des Wanderfalke aktuell ohnehin unterliegen. Zur Klärung der Situation des Wanderfalken in den Bayerischen Alpen wurde 2021 eine flächende-ckende Erfassung begonnen. Aus den bislang erhobenen Daten ergeben sich Hinweise, dass auch dort der Störungsdruck durch den Klettersport lokal ein ernsthaftes und zunehmendes Problem dar-stellt. Ein wichtiger Schritt zur Sicherung der bekannten alpinen Wanderfalkenvorkommen muss es daher sein, lokale Besucherlenkungskonzepte zu erarbeiten und dort, wo diese bereits bestehen, un-bedingt fortzuführen. Essenziell wird dabei die Akquise und Bindung von geschultem Personal sein, welches die zeitaufwändigen Monitoring- und Koordinationsaufgaben durchführt. Der Gesamtbestand des Uhus in Bayern auf 420 bis 500 Brutpaare geschätzt (RUDOLPH et al. 2016). Diese Angabe beruht auf den Bestandserhebungen für den Atlas deutscher Brutvogelarten 2005-2009. Aufgrund einer unbekannten Dunkelziffer an bislang nicht erfassten Artvorkommen ist von ei-nem deutlich höheren realen Bestand auszugehen. Im Artenhilfsprogramm wurden 2021 Bestands- und Brutdaten zu insgesamt 256 besetzten Revieren in Unterfranken, im Nördlichen und in Teilen des Südlichen Frankenjura, entlang der Isar und im bayerischen Alpenraum erhoben. Zudem liegen Streu-daten zu 129 besetzten Revieren außerhalb dieser systematisch bearbeiteten Probeflächen vor. Die-sen Daten zufolge ist der Bestand des Uhus in Bayern derzeit als mindestens stabil einzuschätzen. Auffällig bleibt die im langjährigen Mittel in vielen Regionen Bayerns niedrige Reproduktion: 2021 lag der Bruterfolg auf den meisten Probeflächen des Artenhilfsprogramms – wohl aufgrund der erneut niedrigen Nahrungsverfügbarkeit (Kleinsäuger) – minimal über den Werten des Vorjahres. Trotz stabi-ler Gesamtbestandszahlen im Freistaat, werden - wie bereits in früheren Berichtszeiträumen - regio-nale Diskrepanzen in der Reproduktion innerhalb Bayerns und zu Verbreitungszentren in anderen Bundesländern deutlich. Diese müssen weiterhin kritisch verfolgt werden, wenngleich die von DALBECK (2003) formulierten Anforderungen an eine sich selbst erhaltende Population mit mindestens 1,0 juv. / besetztes Revier für Bayern wohl keine Gültigkeit besitzen. Mit der anhaltend niedrigen Reproduktion gehen eine Reihe aktueller Gefährdungsfaktoren einher: Der Störungsdruck durch Natursportarten hat auf den sehr störungsempfindlichen und ganzjährig am Brutplatz ansässigen Uhu noch deutlichere Auswirkungen als auf den Wanderfalken. Dies be-trifft insbesondere den Klettersport. Dem Störungsdruck an bekletterten Brutfelsen kann im Rah-men des Artenhilfsprogramms nur durch die oben genannten intensiven Lenkungsmaßnahmen ausreichend begegnet werden, wie sie im Rahmen des Artenhilfsprogramms im Frankenjura aber – zumindest in ersten Ansätzen - auch schon im bayerischen Alpenraum umgesetzt werden. Völlig unklar dagegen sind die Auswirkungen des Bouldersports, der sich ähnlich wie der Kletter-sport einer zunehmenden Beliebtheit erfreut. Anders als der Klettersport werden zum Bouldern je-doch kleinere, wenig markante Felsen und Blöcke genutzt, die in ihrer Gesamtheit weder erfasst und veröffentlicht sind noch im Umkehrschluss kontrolliert werden können. Gerade solche Fels-strukturen oder deren unmittelbares Umfeld können für den Uhu als potenzielle Brutplätze interes-sant sein, unterliegen aber möglicherweise einem erheblichen Störungsdruck aufgrund (bislang) fehlender Lenkungsmaßnahmen. An einzelnen Brutplätzen führen auch andere Natursportarten – Mountainbiken, Wandern etc. – zu fatalen Störungen. Auch diese sind - regional und oft im Rahmen lokaler, individuell an die ent-sprechenden Reviere angepasst - Gegenstand von Lenkungsmaßnahmen im Rahmen des Arten-hilfsprogramms. Schwieriger ist es dagegen, Störungen durch Geocaching entgegenzuwirken: Diese mittlerweile etablierte, aber nach wie vor boomende Trendsportart verschärft den Störungsdruck in vielen Re-vieren - bedauerlicher Weise insbesondere in den bislang oft weniger störungsgefährdeten sekun-dären Bruthabitaten in Abbaustätten. Diejenigen, die diesen Sport betreiben, sind aber sehr viel schwieriger zu erreichen als zum Beispiel Sportkletterer. Zahlen zur Dimension der Konflikte liegen für Bayern nur für den Südlichen Frankenjura vor: Dort sind etwa 51% aller Uhureviere durch Geo-caching und die daraus resultierenden Störungen potenziell beeinträchtigt. • Fast die Hälfte aller bayerischen Uhuvorkommen liegt in Steinbrüchen und anderen Abbaustät-ten. Dort sind Bruten und Brutplätze durch den Abbaubetrieb gefährdet, vor allem ist ein erhebli-cher Anteil dieser sekundären Bruthabitate mittel- bis langfristig durch Abbaufortschritt, Verfüllung und Rekultivierung bedroht. Diesen Risiken begegnet das Artenhilfsprogramm in Unterfranken sowie in den Landkreisen Neumarkt und Amberg-Sulzbach in der Oberpfalz mit dem Aufbau enger Kontakte zu den Betreibern, durch deren Beratung und durch Maßnahmen zur Sicherung der je-weiligen Brutplätze und Sekundärlebensräume. • An windhöffigen Standorten der Mittelgebirge kommt es immer noch gelegentlich zu Konflikten mit der Windkraftnutzung, die sowohl Kollisionsrisiken schafft als auch wichtige Nahrungslebens-räume entwerten kann. Mit der Überprüfung der für den Uhu von Windenergieanlagen ausgehen-den Gefährdungsfaktoren anhand aktueller Studien hat das LfU 2020 Kriterien zur Bewertung ei-nes signifikant erhöhten Tötungsrisikos erarbeitet und daraus abgeleitet eine Empfehlung an die höheren Naturschutzbehörden, die kreisfreien Städte und unteren Naturschutzbehörden im Frei-staat ausgesprochen (Schreiben vom 20. Mai 2020). Grundsätzlich hat die 10H-Regelung in Bayern den Windkraftboom früherer Jahre gebremst. Auf-grund der aktuellen Klimaschutzdiskussion und der geplanten Vorgaben der Bundesregierung im Hinblick auf einen massiven Ausbau der Windenergie auf 2 % der Landesfläche dürften Konflikte im Zusammenhang mit Windenergieanlagen im Freistaat wieder zunehmen. • In Regionen mit hohen Anteilen bodenbrütender Revierpaare, z. B. den dealpinen Flusstälern, be-einträchtigen auch Störungen durch die Waldnutzung die Reproduktion des Uhus erheblich und führen immer wieder zum Ausbleiben von Bruten bzw. zu Brutverlusten. Im Rahmen des Artenhilfsprogramms wurde im vorangegangenen Vertragszeitraum begonnen, zumindest im Inn- und Salzachtal in betroffenen Revieren Kontakte zu Waldbesitzern und Forstbetrieben zu knüpfen, um eine Reduzierung solcher Störungen zu erreichen.

Erstellt am: 25.04.2022

Teilen