Urzeitkrebse in Bayern

Mit der Trivialbezeichnung "Urzeitkrebse" werden hier drei Ordnungen der Kiemenfußkrebse (wissenschaftliche Bezeichnung Großbranchiopoden), nämlich die Schildkrebse, die Feenkrebse und die Muschelschaler zusammengefasst. Allen gemeinsam ist, dass es bei ihnen gestaltlich seit 200 Millionen Jahren nur wenig veränderte Arten gibt, dass sie sich in kurzlebigen Gewässern sehr rasch entwickeln und als Dauereier notfalls viele Jahre überdauern können, bis sich ihr Entwicklungsgewässer wieder füllt. Darüber hinaus handelt es sich ganz überwiegend um mit bloßem Auge gut sichtbare Arten (Großbranchiopoden), die im Extrem bis zu 10cm erreichen können.

In Bayern sind eine Reihe von Arten heimisch, die – wie ihre Lebensräume, die periodisch erscheinenden bzw. rasch austrocknenden Gewässer – wenig Beachtung finden und in der modernen Kulturlandschaft als hoch bedroht gelten müssen.

Im Auftrag des Bayerischen Landesamtes für Umwelt wurde im Jahr 2014 eine Studie durchgeführt, in deren Rahmen alle bisher bekannten bayerischen Fundorte der letzten 30 bis 40 Jahre überprüft wurden. Neben der Überprüfung der Fundorte waren auch Notwendigkeit und gegebenenfalls Art und Umfang von erforderlichen Maßnahmen zum Schutz dieser interessanten Tiergruppe ein wichtiges Thema.

Große wassergefüllte Senke in einer Wiese umgeben von Ackerflächen Große Senke mit Feuchtwiesenvegetation in weithin ausgeräumter Ackerlandschaft des Albanstiegs, Lebensraum vom Frühjahrs-Schildkrebs Lepidurus apus und einziges aktuelles Vorkommen vom Dickbauchkrebs Lynceus brachyurus; Foto: Uli Heckes
Breiter wassergefüllter Fahrspurabschnitt Fahrspur in einem Standortübungsplatz, Lebensraum vom Sommer-Feenkrebs Branchipus schaefferi; Foto: Günter Hansbauer
Große wassergefüllte Wiesensenke in Voralpenlandschaft Wassergefüllte Wiesensenke im Alpenvorland als einziger aktueller Lebensraum von Flossenfloh Limnadia lenticularis sowie von Sumpf-Feenkrebs Tanymastix stagnalis; Foto: Andreas Hartl

Die bayerischen Vorkommen verteilen sich auf acht Arten, die im Folgenden kurz vorgestellt werden.

Sommer-Feenkrebs Branchipus schaefferi

Der in Europa, mit Schwerpunkt im Süden, weit verbreitete Sommer-Feenkrebs Branchipus schaefferi ist eine ausgesprochene Sommerform, dessen Cysten (Dauereier) erst bei höheren Temperaturen schlüpfen. Die Tiere wachsen sehr rasch heran und können im Extrem bereits nach zwei Wochen geschlechtsreif sein.

Die Art ist typisch für schlammige, sonnenexponierte Rohbodentümpel im Offenland, die durch Starkregen oder Sommerhochwässer gefüllt werden. In Bayern stammen aktuell die Funde aus wassergefüllten Fahrspuren auf unbefestigten Fahrwegen in Truppenübungsplätzen. Der Sommer-Feenkrebs ist nur an 2 Stellen in Bayern nachgewiesen. Die blass-grünlichen Branchipus messen ausgewachsen 20 bis 25mm.

Sumpf-Feenkrebs Tanymastix stagnalis

Auch der Sumpf-Feenkrebs Tanymastix stagnalis ist in Europa weit verbreitet, sein Areal reicht aber deutlich weiter in den Norden (Schweden, Nordwegen, Finnland). Tanymastix bevorzugt wie Eubranchipus (vgl. unten) kalte Gewässer mit Temperaturen unter 17°C, die Haupterscheinungszeit der Tiere liegt im zeitigen Frühjahr, vor allem im April. Biotope der Art sind in Bayern vor allem überschwemmte Wiesensenken und Äcker zu nennen, die auch für andere Regionen Mitteleuropas angegeben werden. Von 7 Vorkommen können aktuell nur 2 bestätigt werden.

Frühjahrs-Feenkrebs Eubranchipus grubii

Der Frühjahrs-Feenkrebs Eubranchipus grubii kommt über weite Teile Europas vor, fehlt aber im Süden (Spanien, Italien, Balkan); in Deutschland reicht die Verbreitung nach Süden bis etwa an Steigerwald. Die Art ist eine typische Frühjahrs-/Kaltwasserform. Die Entwicklung erfolgt in der Regel von Februar an. Die Art besiedelt vor allem schattige (temporäre) Tümpel, vielfach mit deutlicher Laubauflage am Gewässergrund, im Auwald und im Erlenbruch, regelmäßig aber auch in kleinen Senken zum Beispiel innerhalb von Buchen- und Eichenwäldern. Einige Nachweise beziehen sich auch auf "Gräben" im Wald und auch im Offenland. Sie konnte in allen bekannten 8 Fundorten in Nord-Bayern bestätigt werden. Eubranchipus wird bis 35mm groß.

Frühjahrs-Schildkrebs Lepidurus apus

Der europäisch weit verbreitete, aber seltene Frühjahrs-Schildkrebs Lepidurus apus ist wie Eubranchipus eine typische Frühjahrs- bzw. Kaltwasserform und erscheint von Februar bis Mai. Sein Lebensraumschwerpunkt sind eindeutig die Auen der großen Niederungsflüsse; dort besiedelt er vor allem wassergefüllte Wiesensenken und auch temporäre Au- und Bruchwaldtümpel. Die Art konnte von ehemaligen 7 Fundorten nur noch an einem nachgewiesen werden. Lepidurus wird unter Einschluss der Schwanzanhänge 50-60mm lang.

Sommer-Schildkrebs Triops cancriformis

Der Sommer-Schildkrebs Triops cancriformis, eine Warmwasser- bzw. Sommerform, besiedelt zum einen ähnlich Biotope wie Lepidurus in den großen Flussauen, wobei er aber an offene Standorte gebunden ist. Die beiden sehr ähnlichen Arten konkurrieren nicht, da die Erscheinungszeit von Lepidurus in der Regel bereits vorbei ist, wenn die für den Schlupf der Triops-Cysten erforderlichen Temperaturen erreicht werden. Neben den (primären ) Auenlebensräume ist es Triops – im Unterschied zu Lepidurus – gelungen, stärker auch anthropogene Biotope zu besetzten, nämlich Fahrspuren, heute vor allem auf Truppenübungsplätzen, sowie Vorstreckteiche mit sommerlicher Bespannung in Fischzuchtanlagen. Von 5 bekannten Fundorten konnten 3 bestätigt werden. Die Art kann ausgewachsen mit Schwanzanhängen eine Länge bis 100mm erreichen.

Flossenfloh Limnadia lenticularis

Der holarktisch verbreitete Flossenfloh Limnadia lenticularis ist der größte mitteleuropäische Muschelschaler und erreicht eine Schalenlänge von 15-17mm. Limnadia ist eine Sommerform (April bis Oktober). Besiedelt werden vor allem offene Temporärgewässer in großen Auen: Auetümpel und Flutrinnen, Wiesensenken und auch Acker-Lachen. Die Art wurde auch in gefluteten Senken bzw. Seggenrieden der Seeausuferungen gefunden. Sie ist darüber hinaus aus Fischzuchten bekannt, Limnadia konnte jedoch nicht mehr gefunden werden.

Dickbauchkrebs Lynceus brachyurus

Der Dickbauchkrebs Lynceus brachyurus ist holarktisch verbreitet; in Europa konnte er bislang nur in den nördlichen und zentralen bzw. kontinentalen Regionen gefunden werden; Nachweise aus dem atlantischen und mediterranen Raum fehlen.

Die Art wird offensichtlich nur selten erfasst, vermutlich aufgrund ihrer mit 2,5 bis 5mm, maximal 6,5mm für Großbranchiopoden relativ geringen Größe. Die Erscheinungszeit für Deutschland wird mit April bis Juni angegeben. Sie ist durch eine relativ lange Entwicklungszeit ausgezeichnet. Die Tiere schwimmen relativ wenig, sondern fressen sitzend an Pflanzen oder schaben den Bodengrund ab (Algenaufwuchs). Die Art kommt auch zusammen mit Lepidurus vor. Ein Fundort konnte bestätigt werden.

Steppen-Muschelschaler Leptestheria dahalacensis

Der Steppen-Muschelschaler Leptestheria dahalacensis ist eurasiatisch verbreitet, wobei die Art innerhalb Europas vor allem aus den südlichen und südöstlichen Ländern bekannt ist (nicht Frankreich, nicht Festland-Spanien). Die Art ist eine wärmeliebende Frühjahrs- bzw. Sommerform offener Temporärgewässer auf Rohboden oder mit Wiesenvegetation. Die Erscheinungszeit ist April bis Juli, maximal Oktober. Bei Leptestheria wird die Schale bei ausgewachsenen Tieren bis 15mm lang. Die Art konnte nicht mehr bestätigt werden.

Wie können die Urzeitkrebse in Bayern erhalten werden?

Die aktuellen Untersuchungen haben gezeigt, dass der Erhaltungszustand der Großbranchiopoden in Bayern, vor allem aufgrund ihrer außerordentlichen Seltenheit, praktisch als durchweg sehr kritisch zu bewerten ist. Von den insgesamt bisher in Bayern gemeldeten 32 Artvorkommen konnten in der Untersuchung 2014 nur noch 15 bestätigt werden. Besonders kritisch erscheint die Situation natürlich, wenn zur Seltenheit der Arten aktuelle Gefährdungen bzw. Verluste von Lebensräumen hinzukommen. Um die Arten in Bayern zu erhalten, bedürfen alle Vorkommen, ob offensichtliche "Reliktstandorte" oder anthropogene Rückzugsräume, eines strikten Schutzes: die Objekte selber und angrenzende Flächen müssen gesichert und eine Veränderung des charakteristischen Wasserregimes wirksam unterbunden werden. Darüber hinaus sind auch Einträge von Schadstoffen und Nährstoffen in die Gewässer zu vermeiden.

Die Urzeitkrebse sind auch Leitarten für viele weitere Tierarten des so genannten Makrozoobenthos die speziell an solche kurzzeitig bestehenden Kleingewässer angepasst sind, zum Beispiel etliche unserer Käferarten die auch sehr selten und gefährdet sind. Eine entsprechende Sicherung und Behandlung ist auch für solche Standorte empfohlen, an denen in jüngerer Zeit keine aktiven Tiere mehr gefunden wurden, jedoch noch ein Potenzial erkennbar ist.

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